Ich genieße noch ein weiteres Frühstück und die Gespräche mit Tim und merke, wie wohl ich mich hier gefühlt habe, auch wenn die Unterkunft wirklich äußerst einfach ist. Am Ende sind es wohl immer die Menschen, die es ausmachen.
Ein Einheimischer fährt mich zum Busbahnhof. Was er zu mir sagt, klingt weise und nach viel Lebenserfahrung. Ich mag seine Einstellung. Die Worte klingen noch länger nach. Es sind zumeist diese kurzen, unerwarteten Begegnungen, die nachhaltig in mir schwingen.
Airin holt mich in Klang am Busbahnhof ab und es ist, wie eine alte Freundin wieder zu treffen. Wir holen uns einen Snack und fahren zu ihr, Juveeta ist in der Schule – die jüngeren Kinder gehen hier mittags zur Schule. Und ich bin fast überfordert, als Airin meint, ich könnte am Wochenende noch mit in ihr Elternhaus aufs Land fahren, danach noch einen Abstecher auf eine Insel machen und davor einen Abend nach Kuala Lumpur, um ihre Freundin auf einen Drink zu treffen. Ach ja, und ich bin herzlich eingeladen, im Januar zur muslimischen Hochzeit ihrer älteren Tochter zu kommen, sollte es in meinen Zeitplan passen. Ich habe unglaubliche Schwierigkeiten so viel Gastfreundschaft anzunehmen und fühle mich dadurch auch etwas unwohl. Auch wenn ich es umgekehrt ähnlich machen würde, fällt es mir schwer. Wie viel leichter für mich doch das Geben ist und nun darf ich üben, auch anzunehmen…
Airin wohnt im 10. Stock eines großen Gebäudekomplexes. Zur gepflegten Anlage, zu der mehrere dieser Komplexe gehören und die irgendwie einem großen Hotel gleicht, gehören Spielfelder für beispielsweise Badminton sowie ein großer Pool, an dem es auch Wifi gibt, was sie in der Wohnung nicht hat, zum Schutz ihrer Tochter, die wir, nach bereits intensiv geführten Gesprächen, von der Schule abholen. Ich steige aus und die Kleine läuft mir in die Arme und drückt mich. Es bleibt für mich wohl eines der schönsten Gefühle – die Umarmung eines Kindes. Ich freue mich und hätte das gar nicht erwartet, weil wir uns ja nicht wirklich gut und lange kennen. Wir drei gehen arabisch zusammen essen und ich bestelle eine Art „Cevapcici“, muss lachen und es natürlich gleich der Familie und Verwandtschaft schicken. Gegen die Sauce hier ist Ajvar allerdings nichts dagegen. Und als würde ich nicht schon genug schwitzen, treibt mir diese Sauce das Wasser aus jeder einzelnen Pore meines Körpers – unfassbar.

Ich sitze abends noch an jenem Pool und genieße das plätschernde Wasser, während ich schreibe… was zwischendurch durch schallende Gebete über die Lautsprecherboxen unterbrochen wird. Aber inzwischen gehört das hier einfach mit dazu und ich habe mich ein Stück weit daran gewöhnt. Und so beginnen Tage, an denen ich am Alltag von Airin und Juveeta teilhaben darf. Wir frühstücken und gehen Essen, erledigen Sachen zusammen, begleiten Juveeta zum Fotoshooting. Sie ist Kindermodel für ein Online-Bekleidungs-Label.

Wir  machen auch Ausflüge. So fahren wir in einen Naturpark im Dschungel, den wir mit dem Fahrrad erkunden und verbringen einen Tag in KL. Sie zeigen mir die wichtigsten Spots, was natürlich vor allem die Petrona Towers sind, das Wahrzeichen der Stadt. Wir gehen in die dazugehörige KLCC-Mall und dort auch ins Kino, damit es für Juveeta nicht ganz so langweilig ist. Zu meiner Verwunderung ist es allerdings eine Liebeskomödie, die – wie so oft bei solchen Filmen – mit einem tränenüberströmten Gesicht bei mir enden. „Crazy Rich Asians“ ist ein genialer Film und trifft den Nerv meiner derzeitigen Themen. Inzwischen ist es draußen dunkel und wir fahren nach „Little Havana“, gehen essen und ich trinke mein erstes Glas Weißwein auf meiner Reise. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich diesen Moment feiere und genieße. So sehr, dass es am Ende eine ganze Flasche wird – für uns beide wohlgemerkt 😉 Irgendwann kommt Noa, Airins Freundin, dazu und ich hatte schon viel über sie gehört, auch, dass sie die malaysische Angelina Jolie genannt wird, und erkenne es direkt: die vielen, wie soll ich es nennen, „kleinen“ Schönheitskorrekturen 😁 Dabei ist sie jedoch ein sehr liebenswerter Mensch, was mich ein weiteres Vorurteil abbauen lässt.
Da wir scheinbar in der Partyzone sind – Bars und Kneipen noch und nöcher, überall dröhnende Musik, zumeist live, verschlägt es uns in eine davon, mit genialer Latino-Hüftschwung-Musik. Dazu ein passender Cocktail, läuft 😆 Wäre die Kleine nicht dabei, würden wir wohl noch viele Stunden in dieser Straße verbringen, aber auch so wird es spät und zu feucht-fröhlich, um zurück zu fahren. Und so übernachten wir in der neuen Wohnung von Noa, während sie in ihrer alten, einen Block weiter, bleibt. Wir sprechen hier nun von einem Gebäudekomplex mit 33 Stockwerken und einem gigantischen Blick auf die Großstadt. Vorbereitet bin ich allerdings nicht. Unkompliziert lege ich mich einfach in meinem Oberteil ins Bett, während sich Airin eines der Hemden aus dem überdimensionalen Klamottenberg von Noa schnappt. Da Juveeta immer warm ist, wird erst einmal ordentlich heruntergekühlt. Da ich noch Frostbeulen aus dem Kino habe, ziehe ich auf die Couch ins Wohnzimmer um und bekomme dafür morgens diesen genialen Blick auf die Stadt inklusive der dazugehörigen Laute, die fast an New York City erinnern. Ich freue mich, dass ich die Stadt auf diese Weise kennenlernen darf, denn nochmal: Großstadt, dazu noch eine fremde, stresst ein Kleinstadt-fast-Landei wie mich 😄 Und da ich ja nun hier in Kuala Lumpur bin und sogar übernachtet habe, kann ich den Rest der Tage, wie von Airin vorgeschlagen, mit den beiden an anderen Orten verbringen, die ich sonst niemals sehen würde.
Mittags freuen Airin und ich uns regelrecht, dass Juveeta Schule hat, so können wir uns einen Mittagschlaf gönnen, anschließend Kaffee und Kuchen, den ich in einer Einkaufsmall mitgenommen habe. Und in diesem Moment erinnere ich mich gerne an das „Café König“ und die leckeren Kuchen, die meine liebe Freundin in Baden-Baden und ich uns gerne mal gegenseitig vorbei gebracht haben 😊
Abends gehen wir zum – Achtung – Karaoke singen 😆 So etwas Skurriles habe ich ja selten erlebt. Also nicht Karaoke als solches, das bekam ich sogar noch zum Abschied vor meiner Reise – von wahren Freunden, die genau wissen, was ich brauche 😜 Freunde, euch hätte ich heute gerne hier dabei!! Also, das für mich Unbekannte ist, dass es einfach unzählige Räume gibt. Die Nummer 35 wird uns zugeteilt und wir werden in einen Raum geführt, der an ein gemütliches IKEA-Wohnzimmer erinnert. Und die beiden haben zwei Stunden gebucht. Zwei Stunden?! Das Schlimmste aber ist, dass ich nicht einen einzigen deutschen Schlager gefunden habe 🤣 Und so laufen Texte von BTS (das ist K-Pop, also Korean Pop und die absolute Lieblingsband und Vorbild von Juveeta), Shakira, Beyoncé, Ed Sheeran usw. über den Bildschirm und wir krächzen vor uns hin. Okay ich korrigiere, ich bin die einzige die krächzt, während meine reizenden Gastgeberinnen eine ganze Halle beschallen könnten. Ich finde es insgesamt ganz witzig, bin aber nicht ganz so entspannt. Ich weiß noch nicht, wo ich in Singapur übernachten soll, die Suche gestaltet sich schwierig und die Preise sind krass. Einer Empfehlung zufolge nehme ich Kontakt zu einer Deutschen, die in Singapur lebt, auf. Das verläuft jedoch eher, nennen wir es erfolgsbefreit. Mir war ohnehin nicht ganz wohl damit, da es mir echt unglaublich unangenehm ist, „Bittsteller“ zu sein. Und vielleicht brauche ich nach den Tagen hier auch einfach eine Pause und wieder mehr Zeit & Raum für mich. Was im bezahlbaren 16 Bett-Zimmer dann vermutlich auch nicht ganz gelingen dürfte. Dazu wieder das Thema Großstadt und ich merke, dass ich voll genervt und im Widerstand bin. Auch deswegen, weil nun nicht einmal mehr das Wifi am Pool geht. Da lässt es sich weder gut organisieren noch sonst etwas machen. Grmpf. Immerhin hatte ich mir eine malaysische SIM-Karte zugelegt, da ich sonst auch keine Grabs buchen könnte, aber auf meinem alten „Zweitdandy“ mit kleinem Display macht die Recherche natürlich volles Brett Spaß, wie ihr euch denken könnt. Zudem fehlen mir darauf einige Apps, die ich wiederum ohne Wifi nicht runterladen kann. Ich denke, ich habe allerdings verstanden, was es mir sagen will. Es ist scheinbar gerade noch nicht die Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Ich weiß noch, wie ich mich geärgert habe, dass ich den Nationalpark Taman Negara „verpasst“ habe. Heute weiß ich, sollte dann wohl so sein 😉
Ich könnte auch einem der 20 Typen schreiben, die mir auf der Couchsurfing-Plattform angeboten haben, mich zu hosten. Ich sollte allerdings vorher nochmal überprüfen, ob es nicht versehentlich Tinder war, wo ich mir einen Account angelegt habe 🤣
Ein Telefonat mit meiner jüngeren Schwester hilft. Nachdem ich den Frust dankenswerterweise bei ihr lassen durfte, erzähle ich ihr noch Geschichten über fehlendes Klopapier, „Steh-Toiletten“ (ich muss sie ja schließlich langsam darauf vorbereiten) und stelle die Frage, die mich immer und immer wieder beschäftigt: wie brausen die sich eigentlich ab, ohne komplett nass zu sein, vor allem in den „Steh-Toiletten“. Burkas und Co. könnten eine echte Erklärung sein – man hat das Handtuch direkt dabei 😇 Auf jeden Fall bin ich sehr dankbar, dass es beispielsweise an Flughäfen die Wahl zwischen diesen und den westlichen Toiletten gibt.

Am nächsten Morgen wache ich auf und habe Kopfschmerzen, na ja, bei dem vielen Singapur-Kopfzerbrechen auch fast kein Wunder. Dass es ein Segen ist, erfahre ich erst später. Ich stehe kurz auf und sage Airin, dass ich mich nochmal hinlege. Als ich erneut wach werde, ist niemand Zuhause und ich weiß, dass sie die Kleine zum HipHop-Unterricht fahren wollte, wundere mich aber, dass sie bereits essen geholt hatte. Ich dusche also in Ruhe und sauge einmal durch, ich bin ja schließlich ein guter Gast 😊 Dann wackele ich zum Pool und muss erneut feststellen, dass das Wifi nicht geht. Was soll’s, ich fahre wieder in den 10. Stock und bin verwundert, als vor der Haustüre eine Art Wachmann steht und mich fragt, ob ich die Freundin hier sei. Nur zögerlich antworte ich, denn ich weiß ja nicht, ob er da ist, um irgendwelche Touristensteuern einzutreiben. Er sagt, Airin hätte mich nicht erreicht (wie auch ohne Wifi). Sie hatten einen Unfall und sie seien jetzt im Krankenhaus. Kurz bin ich geschockt, als er schließlich sagt, es sei soweit alles okay und ich solle mir keine Sorgen machen. Ja der hat Nerven. In der Wohnung erinnere ich mich, wie ich vor meiner Abreise das Thema „Hotspot“ kennengelernt habe und nach einigem Hin und Her, gelingt es mir, über diesen vom malaysischen Handy auf meinem deutschen Alles zu nutzen und zu empfangen. Jetzt kann ich auch mit Airin schreiben, die mir Bilder vom Unfall schickt und ich bin sprachlos über die demolierten Autos. Sie schreibt, es sei soweit alles okay. Was für eine Situation. Ich bin in einer fremden Wohnung, von der ich nicht einmal die Adresse kenne und kann gefühlt nichts tun, frage aber dennoch nach.
Ich mache mir erneut zig Gedanken. Und ich frage mich, ob ich dankbar sein darf, dass ich dank meiner Kopfschmerzen nicht dabei gewesen bin, es aber ja die beiden getroffen hat. Und ich denke, dass wir jetzt auch nicht wegfahren und vielleicht ist es besser, sie haben jetzt Ruhe und ich suche mir einfach irgendwo eine Unterkunft. Dann ist da ja noch das Thema Singapur, der Widerstand immer größer. Da ich mir versprochen habe, stets auf mein Bauchgefühl zu hören, fange ich an zu recherchieren, ob es außerhalb des Zentrums noch etwas gäbe. Gibt es, inmitten von Natur, am Strand und nicht weit vom Flughafen entfernt. Perfekt, jedoch nahezu unbezahlbar für mich.

Stunden später ruft Airin an und ich bin dankbar, dass die beiden okay sind und lediglich Juveeta sich das Knie etwas verletzt hat. Sie fragt, ob ich abfahrbereit sei. Whaaat? Sie seien noch bei der Polizei, kämen jedoch in einer halben Stunde und dann würden wir fahren, sie braucht nur noch kurz, um ein paar Sachen zu packen. Ich bin verwirrt. Sie kommen heim und wir drücken uns. Und tatsächlich fahren wir ein paar Minuten später los. Die ältere Tochter von Airin, Ashkin, und ihr zukünftiger Schwiegersohn fahren uns zum Haus der Schwester, um deren Auto nehmen. Während Ashkin noch ein paar Snacks für die einstündige Fahrt einkauft, erzählt mir Airin vom Unfall und dass sie verärgert sei. Es sei nicht ihre Schuld gewesen und die Unfallverursacherin wäre im Stress gewesen, der Unfall das Ergebnis. Was sie am meisten belastet ist der Schock, den Juveeta in dem Moment erfahren hat.
Wir nehmen also das Auto der Schwester, um mit den beiden Töchtern, weiter in ihr Elternhaus zu fahren, was weitere zweieinhalb Stunden dauert. Sie tut mir leid und ich habe gleichermaßen den größten Respekt. Nun fährt sie mit einem großen Auto im Dunkeln nach diesen Erlebnissen noch solch eine Strecke. Und ich spüre die Verunsicherung aller im Auto.
Kurz vor der Ankunft gehen wir noch Essen. Es gibt frisch gekochten Fisch mit Reis und Gemüse und schmeckt richtig gut. Als wir, inzwischen fast Mitternacht, am regelrechten Anwesen ankommen, staune ich nicht schlecht. Was ist das für eine Großfamilie mit diversen Häusern an verschiedenen Orten und mit den unterschiedlichsten Lebensweisen, auf die ich da gestoßen bin. Mein „Thema“ wird dadurch nicht besser und doch spüre ich, dass ich wirklich herzlich willkommen bin und sie mich ja scheinbar auch gerne bei sich haben.

Da wir inmitten des Nirgendwo sind und es hier mehr Tiere als Menschen gibt, kann ich auch nicht gleich schlafen. Zuvor erzählte Airin von Kobras im Dickicht des umliegenden Dschungels, in der einen Toilette ist ein Lizzard, in der anderen eine Riesenkakerlake. Noch Fragen? 😬 Und so recherchiere ich mich weiter wegen Singapur durch die Nacht und komme keinen Schritt weiter. Nur dieses eine Hotel, aber so teuer. Das Schlimme ist, dass es in günstig nur Absteigen gibt. Fast bin ich verzweifelt. Sollte jemand eine Idee oder einen Impuls haben, bin ich gerne offen und dankbar, es sind schließlich nur noch drei Tage bis Singapur…