Ich gehe zur Bushaltestelle und laut Fahrplan im Netz müsste die nächsten Minuten ein Bus kommen. Tut er aber nicht. Bus fahren in Australien ist ohnehin der Graus. Weder wird im Bus angezeigt, welche Station die nächste ist oder wo man sich befindet, noch kann man selbiges an der Bushaltestelle ersehen. In Perth beispielsweise hat jede Haltestelle eine Nummer (z.B. 42790) und in den Fahrplänen wird nur jede zehnte Haltestelle aufgeführt, da es so viele gibt. Und wie bitte soll man sich da als Außenstehender zu recht finden? Genau, gar nicht 🙄 Ich warte insgesamt eine Stunde, bis Bus Nummer 103 kommt, um vom Fahrer zu hören, dass ich auf der falschen Straßenseite stehe! Ich frage, wann der nächste Bus denn dort kommt, er meint, in den nächsten paar Minuten. Nicht, dass ich genervt wäre, nein… wechsle also die Straßenseite und warte… weitere 30 Minuten, bis der gleiche Fahrer, von dem ich die nicht ganz richtige Auskunft hatte, mich aufpickt. Es scheint ihm auch ein wenig unangenehm. Er schafft es dann jedoch auch, mir die falsche Haltestelle für mein Ziel zu nennen und als ich die Entfernung zum Hostel sehe, muss ich mir ein Taxi nehmen, weil ich das unmöglich gehen kann. Läuft ja prima. Und so lasse ich mich in den Knast fahren, denn dort bleibe ich die nächsten fünf Nächte. Völlig freiwillig 😆 Das „Fremantle Prison“ ist ein ehemaliges Gefängnis, wird auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geführt und in einem Teil befindet sich eine Jugendherberge. Viele Teile sehen noch original so aus und es gibt sogar die Möglichkeit, in einer Zelle zu übernachten. Abgefahren. Ich habe länger überlegt, ob ich hier übernachten kann und will, wegen der Energien und so, aber die Bewertungen waren die besten im ganzen Stadteil und das völlig zu Recht. Eine tolle Atmosphäre, sauber, supernette Angestellte und auch sehr gemischtes Publikum, vorwiegend ganz „normal“ 😆 Gut, der ein oder andere sieht aus, als wäre er noch von damals „sitzen geblieben“, aber man soll ja nicht nach dem Äußeren gehen 😬

Ich bin ziemlich erschöpft und auch genervt. Mir fehlt Schlaf, das ständige Umziehen, frühe Auschecken, Herumfahren, die unglaublich vielen Nachrichten und Anrufe über Weihnachten und immer wieder neue Menschen und Umgebungen, sind in Summe gerade zu viel für mich. Ich bräuchte ein paar Tage Urlaub 🤣

Hunger sticht Müdigkeit und so gehe ich in den Ort, um etwas zu essen. Und ich werde ganz schnell wach, als ich durch diesen ganz entzückenden Ort gehe. Alte kleinere Gebäude und Häuser, zumeist aus Stein, auf dem „Cappuccino-Strip“ ein Café neben dem nächsten – ich bin begeistert 😍 Ich gehe in die Brauerei und esse einen traditionellen australischen Burger. Eine besondere Esskultur gibt es hier ja leider nicht und ich habe Mühe, mich einigermaßen gut und gesund zu ernähren. Mehr als Essen gehen schaffe ich heute leider nicht und hebe mir den Rest für die nächsten Tage auf. Da ich es kaum abwarten kann, wieder durch Fremantle zu spazieren, gehe ich direkt am nächsten Morgen wieder los und steuere zunächst die Tourist-Information an, um mir ein Fährticket nach Rottnest Island incl. Fahrrad für den nächsten Tag zu buchen. Ausgebucht. Und für Samstag nicht mehr alle Zeiten verfügbar, Fahrrad gar nicht 😟 Oh man, was ist das denn gerade… Dann halt ohne Fahrrad und erst um 10:30 Uhr, ist mir jetzt auch egal. Vermutlich läuft’s auch nicht besser, wenn ich genervt bleibe, also beschließe ich, wieder positiv zu denken. Wird schon einen Grund haben, kein Fahrrad zu bekommen. Schließlich könne ich es noch auf der Insel direkt mit einer Ausleihe versuchen. Ich frage die Dame am Indoschalter außerdem, wo es einen ruhigen Platz gibt, an dem ich schreiben könnte. Und sie schickt mich mit dem kostenfreien „Red Cat“-Bus zum „Fremantle Arts Centre“. Das hat sie gut gemacht, ich schaue kurz bei der Ausstellung für Kinder vorbei und sitze dann zunächst im Grünen und später im Innenhof des Cafés, schreibe, esse, trinke einen Cappuccino, genieße, werde zunehmend ruhiger und fühle mich nach drei Stunden sogar richtig gut 😊

Und so stehen der heutige wie auch der morgige Tag komplett unter dem Motto „Fremantle erkunden“ und ich muss sagen, es ist nach Pai der zweitschönste Ort und sogar der erste, an dem ich mir sogar vorstellen könnte, zu leben. Er ist überschaubar, man kann das Meiste zu Fuß machen, es gibt schnucklige kleine Lädchen, viele gemütliche Cafés, ganz tolle Märkte, verschiedene Häfen und sogar einen Strand vor der Haustüre. Zu diesem fahre ich ein paar Minuten lang mit dem „Blue Cat“-Bus und bin erstaunt, wie schön er ist, allerdings ist es auch so windig, dass ich nur ein wenig herumgehe und nicht wirklich lange bleibe. Für Hundeliebhaber: es gibt sogar einen eigenen Hundestrand. Ich gehe weiter, zum Hafen des Segelclubs, man weiß ja nie, wen man da so treffen könnte 😉 Eine liebe Bekannte hat regelrecht mit mir geschimpft und gesagt, ich soll mich nicht so anstellen. Ich soll gefälligst zu den Yachthäfen und irgendeinem Yachtbesitzer in die Arme stolpern, allerdings auch keinem Alten 🤣 Ich lasse das jetzt mal so stehen und berichte, falls sich diesbezüglich etwas tut 😆

Auf dem Rückweg nehme ich noch den „Fremantle’s Fishing Boat Harbour“ mit, der mich total an den Hafen in Kapstadt erinnert. Wirklich richtig schön hier.
Am Abend lerne ich die nur ein klitzekleines bisschen ältere Kerstin und den 23jährigen Nicolai kennen. Mit Kerstin hatte ich schon kurz auf dem Zimmer gesprochen, heute gesellt sich Nikolai zu uns und ich frage mich mal wieder, was genau das Schicksal sich da gedacht hat. Im Verlauf dieses und der nächsten Abende und Tage erzählen wir einander unsere Geschichten von schwierigen Zeiten in der Kindheit, innerhalb der Familien und im weiteren Verlauf des Lebens, sind vermeintlich unterschiedlicher als sonst wer und irgendwann wird es für mich zwischen Kerstin und Nikolai schon fast ungemütlich. Irgendwas triggert sie jeweils aneinander und ich bin mittendrin. Ich kann es zwar ganz gut bei den beiden lassen und einfach nur beobachten, was passiert – schließlich geschieht nichts zufällig – und doch beschäftigt es auch mich noch einige Zeit. Vor allem die Frage: wie wird man damit fertig, wenn der Vater sich das Leben nimmt und man ihn als erster findet? Was für ein Trauma, furchtbar. Es hat zwar jeder sein Päckchen zu tragen, aber dieses finde ich schon besonders schwer und als gesamte Geschichte sehr traurig.

Ich nehme die Fähre nach „Rottnest Island“ und bekomme auch auf der Insel kein Fahrrad. Ich kaufe mir ein Ticket für den „Hop on, hop off“-Bus und beschließe, immer wieder auszusteigen, um die Insel zu Fuß zu erkunden. Und das ist dann wohl das Beste, das ich tun konnte, denn ich komme an gänzlich unberührte Flecken, die ich mit dem Fahrrad nicht entdeckt hätte. Die Insel ist der absolute Hammer. In Teilen ist sie sandig, dann wieder karg und nur mit wenig Bodenpflanzen bewachsen, an anderen Stellen wieder sattes Grün in den verschiedensten Tönen. Dazu die unterschiedlichsten Strandabschnitte und Buchten: mit sichtbarem Korallenriff, an dem man sich nicht satt sehen kann, paradiesischen, leeren Sandstränden mit feinstem hellen Sand, Klippen und Gestein, an denen die Wellen brechen und die eher rau wirken. Und dann noch eine ganz unglaubliche Tierwelt mit Möwen, Pelikanen, Seeadlern, Seelöwen und den süßesten Tieren überhaupt, den Quokkas – eine Beuteltierart aus der Familie der Kängurus. Sie sind viel kleiner und zutraulicher und einfach zum Mitnehmen süß!! Ich versuche, ein Selfie mit ihnen zu machen, wie alle anderen auch, aber meine sind alles, nur nicht veröffentlichbar 🤣 Aber ich habe Spaß dabei. Insgesamt bin ich 14 Kilometer zu Fuß unterwegs, über lange Strecken teils ganz alleine und habe wieder einen dieser dankbaren „Oh mein Gott ist das schön und ich darf es erleben“-Momente und finde, dass es eine der schönsten Inseln ist, die ich je gesehen habe. So vielfältig, so natürlich und unberührt, so traumhaft schön. Was für ein erfüllter Tag! Einzig die Rückfahrt bedarf wegen des Wellengangs hoher Konzentration. Neben mir werden schon die verteilten Tüten vor den Mund gehalten 🤢 Dafür bekomme ich zum Abschluss des Tages noch einen Sonnenuntergang am Hafen, wie er schöner nicht sein könnte 😊

Sonntags fahre ich zur Abwechslung mal Zug und erkunde Perth nochmals ein bisschen, da ich ja durch den Unterkunftswechsel nicht wirklich viel Zeit in der Innenstadt hatte und, um die volle Wahrheit zu sagen: ich brauche neue Turnschuhe. Bei 8-10 Kilometern, die ich hier in Australien pro Tag gehe, sind die anderen inzwischen durch und mit Kerstin, als Filialleiterin eines namhaften Schuhfachgeschäftes, habe ich auch eine Expertenmeinung und entsprechende Beratung. Ich lerne viel durch sie, und ich meine nicht über Schuhe, sondern über die Branche des Einzelhandels. Filialleitung, 50 Stunden-Woche, werktags keinen Abend vor acht Uhr daheim und der Verdienst unter dem beispielsweise einer Sachbearbeiterin/Assistentin in der Medienbranche! Das trägt doch wesentlich dazu bei, zu sehen, wie gut es mir und vielen von uns eigentlich geht. Auch hilfreich für mein Bewusstsein sind Erzählungen über Kunden, die kommen, sich beraten lassen, ihre Sachen dann aber im Internet bestellen. Die Auswirkungen sind unter anderem, dass Personal vorzeitig nach Hause geschickt wird, wenn der Umsatz nicht hoch genug beziehungsweise eben nicht viel los ist. Ich könnte noch Einiges mehr schreiben, aber das waren die wesentlichen Aspekte, die in mir weiter arbeiten. Und wenn ich eine Vorstellung ganz schlimm fände, dann die, dass wir irgendwann keine Innenstädte mit Fußgängerzonen mehr haben, durch die ich immer mal gemütlich bummele, ein nettes Schwätzchen mit den Verkäufern halte, dazwischen einen Kaffee trinke und ein Stück Kuchen esse, bestenfalls mit einer Freundin, einer meiner Schwestern oder meiner Mutter…

Und so freue ich mich gerade um so mehr, durch Fußgängerzonen gehen zu können. Und ich muss sagen, auch Perth ist einfach eine schöne Stadt. Ähnlich wie Brisbane: nicht zu groß, Altbauten und moderne Hochhäuser, kleine Fußgängerzonen, nette Plätze und das ganze von Natur und Wasser umsäumt, easy going und absolut angenehm. Und ich freue mich, dass ich auch Silvester hier verbringe. Die Pläne hierfür schmiede ich mit Kerstin abends bei lecker Fish & Chips am Hafen und anschließendem Kaffee. Und zum ersten Mal auf meiner Reise friere ich bis zur Gänsehaut. Hier in Fremantle ging schon alle Tage ein frischer Wind, aber heute hier am Hafen, brrrr.

Nach erfolgreichem Umzug und gut funktionierender Busfahrt 😉 komme ich wieder im Hotel an, ruhe mich aus, bevor der Silvesterabend losgeht. Ich hole Kerstin ab und wir gehen in Perth’ Stadtteil „Northbridge“, wo einiges geboten ist: zwei Live-Bühnen mit Programm, ein paar Foodtrucks, geöffnete Bars, Restaurants und Clubs. Wir starten in einem Brauhaus. Ich trinke Kölsch, Kerstin Weißbier – typisch australisch also 🤣 Von der Veranda im ersten Stock haben wir direkt das Treiben und eine der Bühnen im Blick. Was wirklich herzig ist: von 17-21 Uhr ist das Programm vorwiegend für Kinder und endet auch mit einem kleinen Feuerwerk um 21 Uhr für sie, damit sie dann schlafen gehen können.
Wir ziehen weiter durch die Straßen und steuern schließlich den Hafen an, von dem aus wir das Feuerwerk anschauen wollen. Dabei kommen wir noch an richtig schönen Ecken vorbei, die ich noch gar nicht gesehen hatte. Wir überlegen und tauschen uns darüber aus, was besonders schön und was schwierig in 2018 war, machen Quatsch und haben wirklich viel zu lachen. Am Hafen fragen wir uns nach dem besten Platz durch und setzen uns schließlich auf einen Steg mit freiem 180 Grad-Blick. Das Feuerwerk kann also starten. Wir schauen selten dämlich, als um Mitternacht vor uns der Himmel bleibt wie er ist und lediglich in weiter Ferne hinter den Hochhäusern ein schönes Feuerwerk zu sehen ist – wir lachen uns schlapp 🤣 Immerhin hat Kerstin eine Pulle besorgt und wir trinken aus der Papiertüte, da man in Australien nicht öffentlich Alkohol trinken darf. Übrigens auch nicht überall welchen bekommt, sondern schon extra einen Bottleshop aufsuchen muss…

Wir sitzen noch eine Zeit lang, beobachten die Menschen im Umfeld, gehen dann wieder in die City und tun dort selbiges. Und wenn das Neue Jahr so wird, wie ich hinein gefeiert habe, dann freue ich mich auf ein entspanntes, lustiges und rundum gutes 2019! ☺

 

P.S.: Übrigens kamen die pinkfarbenen UGG-Boots für meine Lieblingsnichte Nika pünktlich an Heilig Abend an! 😍