Schon um 11 Uhr lande ich in Yulara, mitten im Herzen von Australien. Da ich schon weiß, was mich erwartet, ziehe ich ein paar Lagen Kleidung noch im Flieger aus. Dass es sich beim Aussteigen – im Übrigen direkt auf dem Rollfeld – allerdings so anfühlt, damit habe ich nicht gerechnet. Es fühlt sich nämlich an, als würde jemand mit dem Fön vor mir stehen, heißeste Stufe, ohne Abstand, mitten ins Gesicht. Also so, dass es schon fast schmerzt. Es hat 47 Grad! Und es ist definitiv das erste Mal, dass ich so etwas in Form von Außentemperatur fühle, abgefahren 😅
Da es nur ein überdimensional großes Resort gibt, das wie ein kleines Dorf wirkt und aus ca. fünf verschiedenen Unterkunftskategorien besteht, zudem in Flughafennähe liegt, werden sämtliche Passagiere, die landen mit einem großen Bus geshuttelt. Die Fahrt dauert ca. zehn Minuten und bereits durchs Fenster im Bus entdecke ich ihn, meinen Lieblingsberg, den Uluru, früher Ayers Rock genannt und – mir geht das Herz auf. Auch beim Anblick dieser roten Erde, die mich auf eine Weise ganz tief erfüllt und berührt. Und es fühlt sich an, als sei ich gerade nach Hause gekommen. Ja, genau so fühlt es sich hier für mich an, wie zu Hause ☺

Leider kann ich erst um 15 Uhr aufs Zimmer, was ich als sehr mühsam empfinde, denn draußen ist es unmöglich, so lange zu warten und drinnen ist durch die Klimaanlagen Eiszeit angesagt. Wofür entscheidet man sich also? Ich habe es draußen versucht, keine Chance. Also ziehe ich drinnen meine Lagen an Kleidung wieder an und döse in einem der Sessel, schließlich war fünf Uhr aufstehen angesagt und das ist ja nicht ganz so meine Zeit. Auch diese vier Stunden vergehen und in dem kleinen, mehr als einfachen Zimmer, das an eine Gefängniszelle erinnert, mich irgendwie jedoch überhaupt nicht stört, lege ich mich erst einmal hin, was soll ich bei der Hitze auch machen. Die erste Nacht teile ich das Zimmer mit drei jungen Freunden: ein Kolumbianer, eine Brasilianerin und eine Japanerin, die in Sydney leben. Es ist eine kleine Abschiedstour für die Brasilianerin, die wieder zurück nach Hause geht. Sie wollen mich auch mit zum Pool und zu einer Sonnenuntergangstour nehmen, aber da der Pool leider keine Abkühlung verheißt und ich heute Nacht um drei (!!) Uhr für eine Tour aufstehen muss, bevorzuge ich ausruhen im klimatisierten Zimmer. Trotzdem freue ich mich. Diese jungen Menschen sind einfach ganz oft so süß und liebevoll, einfach schön. Irgendwann klopft es an der Tür und mein Typ wird verlangt. Eine Frau von der Lodge-Rezeption mit einem Umschlag in der Hand. Mir wird kurz schlecht, weil ich denke, ein Telegramm oder dergleichen, denn wer will bitte sonst im Nirwana etwas von mir? Ich reiße ihn noch in ihrem Beisein auf, so, als wollte ich demonstrieren: bleib bitte hier, falls es etwas Schlimmes ist, will ich bitte nicht alleine sein. Und sehe, dass der Absender nur der Tourenveranstalter von morgen ist. Ich bedeute ihr, dass alles gut ist und sie mich nun getrost zurück lassen kann. Eine sehr eindringliche Nachricht, um nicht zu sagen Warnung bzgl. der morgigen Wanderung. Bereits im Flughafenshuttle wurden wir aufgefordert, bei Aktivitäten einen Liter Wasser pro Stunde (!) zu trinken. Das wird hier nochmals unterstrichen. Wer nicht mindestens drei Liter Wasser mitbringt, darf nicht teilnehmen, außerdem werden wir Einiges unterschreiben müssen, wenn wir bei der Tour durch den Kings Canyon dabei sein möchten. Na das hört sich ja abenteuerlich an, wobei ich das bei der Hitze natürlich auch verstehe.

Da ich nun schon stehe, mache ich mich auf und gehe zu einem nahe liegenden Lookout, an den ich mich noch vom letzten Mal erinnere. Sollte ich es durchstehen, bleibe ich bis zum Sonnenuntergang. Ich kann einfach überhaupt nicht glauben, was für eine Temperatur das ist und wie sich dieser leichte, doch unfassbar heiße Wind anfühlt. Es ist dennoch schön, hier zu sitzen und in die rote Weite und zum Uluru zu blicken. Die Sonne geht auf der anderen Seite, über den Kata Tjuta-Felsen, unter und taucht die gesamte Landschaft in ein unbeschreibliches Licht unterschiedlichster Farbtöne. Ich bin so dankbar, hier zu sein, und so fröhlich, dass ich auf dem Rückweg vor mich hinsinge.

Um vier Uhr in der Nacht startet also der Bus in Richtung Kings Canyon, der über 300 Kilometer entfernt liegt. Sie lassen uns bis zum Frühstück, wofür wir unterwegs halten, schlafen. Ich werde nur ein Mal zwischendurch wach – bei der Vollbremsung des Busses, weil ein Kamel (!) die Straße überquert 🤣 Wir sehen später im Sonnenaufgang auch Wildpferde, bunte Papageien, weitere Kamele. Es ist unglaublich. Auch, dass es trotz der Dürre und Hitze noch grüne Büsche und Bäume gibt, was müssen das für zähe Gewächse sein.
Unterwegs müssen wir also noch ziemlich viel Kleingedrucktes unterschreiben und werden von MJ, unserem Guide (er nennt sich wirklich so und MJ steht auch auf seinem Namensschild 😆), abermals vor dieser heftigen Wanderung bei brennender Sonne und ohne Schattenplätze gewarnt. Kurz frage ich mich, ob ich mich nicht doch lieber bei dem „kurzen Spaziergang“ einreihe, aber nein, ich habe mich schließlich bewusst für den Kings Canyon entschieden und wenn die anderen das schaffen, werde ich das ja wohl auch hinkriegen. Und 3,5 Liter Wasser habe ich auch dabei.
Tatsächlich denke ich beim ersten Stück schon an Rückkehr, denn wir haben 500 Gesteinsstufen zu erklimmen 😳 Mein eiserner Wille siegt und auch wenn ich sehr ins Schwitzen und mein Herz ins Pumpen gerät, schaffe ich das und wow, oh mein Gott, hui – was für ein Ausblick! Meine Augen können gar nicht alles auf einmal erfassen und so lasse ich sie immer wieder von links nach rechts und rechts nach links schweifen, über dieses rote, karge und doch vielfältige, auch bewachsene und steinige weite Land. Mega. Wir gehen weiter über eine von Felsen und Steinbrocken dominierte Marslandschaft. Ich reihe mich nur selten in die Gespräche der anderen ein, weil ich einfach jeden Moment in mich aufsauge. Ich kenne keine vergleichbare Landschaft auf der Erde.
Der Kings Canyon, dessen Felswände bis zu 100 Meter hoch sind (!) ist wahrlich beeindruckend. Und nicht nur das, es gibt sogar einen „Garden of Eden“ mit Wasser und Palmen. Die Natur ist einfach ein Phänomen.
Nach drei Stunden neigt mein Wasser sich dem Ende, glücklicherweise auch der „Rim Walk“. Und es ist noch vor 11 Uhr, denn später ist bei diesen Temperaturen der Aufenthalt geschweige denn das Wandern hier nicht erlaubt.
Die Rückfahrt führt uns vorbei an weiteren Aussichtspunkten, so dass wir beispielsweise einen ausgetrockneten Salzwassersee sehen sowie den Mount Conner, der ebenso massiv wirkt wie der Uluru, jedoch ein Tafelberg ist.
Außer einer Dusche und etwas zu Essen brauche ich heute nicht mehr, braucht es aber auch grundsätzlich nicht mehr, denn erfüllter kann ein Tag kaum sein 😊

Ich schlafe wie ein Baby und heute auch mal richtig lange, wie das gut tut. Auch, dass ich heute erst am Abend Programm habe. Ich hole mir einen Kaffee und die ältere Dame im Hotelrestaurant stibitzt mir ein Bircher Müsli vom Buffet, das eben nur für Hotelgäste ist, zu denen ich ja nicht gehöre. Ich muss ihr bei einem Zwinkern einzig versprechen, dass es unter uns bleibt 😉 Inzwischen teile ich mir das Zimmer mit Chih-Yu aus Südkorea und freue mich über den interessanten Austausch und dennoch einer Portion Distanz, so dass es sich fast ein bisschen wie Einzelzimmer anfühlt, zumal wir zu unterschiedlichen Zeiten auf Touren unterwegs sind.
Für mich geht es abends zur „Field of Light Sunset Tour“. Ich lerne Hella kennen, die bei Sydney lebt und dänische Wurzeln hat und den Sekt, den es vor Ort gibt, picheln wir zusammen, dazu gibt es leckere Canapés und einen außergewöhnlichen Ausblick auf den „Heiligen Berg“. Wir warten den Sonnenuntergang und die Dämmerung ab, bevor sich die ersten Lichter der großflächigen Lichtinstallation des britischen Künstlers Bruce Munro zeigen. Pünktlich zur Dunkelheit stehen wir am Feld mit den 50.000 Lampen, die immer wieder ihre Farben wechseln. Einzeln sehen sie aus wie Christbaumkugeln, alle zusammen wie ein einziges Blütenmeer. Die Intensität der Lichter ist zwar nicht die gleiche wie auf den Bildern und doch habe ich hier einen mehr als besonderen Moment. Es ist, als sollte ich genau hierher kommen. Nicht meinetwegen. Mein Papa wollte immer nach Australien und ich freue mich, dass ich für ihn mit herkommen oder ihn auf eine Weise sogar „hierher bringen“ konnte. Und in diesem Moment gefühlt auch genau an diesen Platz…

Am nächsten Morgen heißt es nochmals früh aufstehen, denn ich habe den „Uluru Morning Base Walk“ vor mir. Bedeutet, den gesamten Berg zu umgehen. Der Weg ist mit 10,5 Kilometern gar nicht so lange, doch auch hier gilt, dass es bereits ab dem späten Morgen nicht mehr möglich ist. Heute ist Rob unser Guide und erzählt uns unglaublich viel über die Geschichte der Anangus, wie der Stamm der Aborigines hier heißt. Es gibt unzählige Stellen, die wir nicht fotografieren dürfen, aus Respekt dem Heiligtum der Eingeborenen gegenüber. Dieses Jahr im Oktober wird auch definitiv das Besteigen des Berges eingestellt. Es wurde innerhalb der letzten Jahre bereits drastisch eingeschränkt und es gibt lediglich noch eine einzige Stelle, die man quasi auch nur erklettern kann. Drei Dutzend Menschen sind hier bereits ums Leben gekommen…
Mir reicht es ja schon, dass ich ihn überhaupt anfassen kann und es ist absolut spannend zu sehen, wie dieser Berg aus nächster Nähe aussieht. Höhlen, Steinbrocken, Malereien, Felsformationen, die Bilder erzeugen. Schroffe Stellen und dann wieder solche, die wie sanfte Wellen und Hügel aussehen. Äußerlich kupferfarben und in den Höhlen sieht man die Ursprungsfarbe des Uluru: ein eher tristes graubeige. Was man von dem Weg, den wir gehen, ganz und gar nicht behaupten kann, denn auch hier ist es mitunter unterschiedlich grün bewachsen. Ein sehr faszinierendes Stück Erde.

Auf der Tour lerne ich Adam kennen. Er hatte mich morgens schon am Bus angesprochen und mir war so gar nicht nach Gespräch, was auch, da bin ich einfach ganz ehrlich, mit seiner äußeren Erscheinung zusammen hing: Schnauzer, Baseballcap, lässig-coole kurze Hose, über einem Muscle-Shirt ein lockeres, offenes Hemd, weiße Turnschuhe (für eine Tour im roten Sand!!), fehlt nur die Goldkette. Und ich frage mich während des ganzen Weges, ob dieses Erscheinungsbild als cool oder doch eher als peinlich durchgeht – in Sydney, wo er lebt und auch in meiner eigenen Betrachtung. Ich merke, dass er immer wieder das Gespräch sucht und meine innere Stimme vermittelt mir glücklicherweise irgendwann eindringlich, ich solle gefälligst aus der Wertung heraus gehen und hinter die Fassade schauen! Mache ich, ich spreche ihn sogar aktiv an. Innerhalb kürzester Zeit sind wir im tiefsten Gespräch, das wir am Abend bei Wrap und Bier fortführen. Und ich erfahre, dass er als Lehrer im Gefängnis unterrichtet und gerade noch „Systematische Beratung“ nebenher studiert, um mit den Häftlingen auch auf dieser Ebene etwas zu tun. Als selbst Systemischer Coach bin ich natürlich mehr als interessiert an seinen Ausführungen. Außerdem arbeitet er nebenher mit gewalttätigen Ehemännern und ist zudem Musiker. Respekt. Das nenne ich mal „seine Berufung leben“. Und im Gespräch merke ich schnell, welch gutes großes Herz in diesem Menschen schlägt. Ein solches, das Du einfach gerne in Deinen Freundeskreis mit aufnehmen möchtest. Und ich weiß, er gehört zu jenen Begegnungen, mit denen der Kontakt bestehen bleiben wird.
So ähnlich ist es mit Lukey, den ich anrufe, da meine australische SIM-Karte ausläuft – um mich zu „verabschieden“ und weitere tausend Mal für seine Unterstützung zu bedanken. Ich wäre ohne ihn niemals auf diese Weise durch Australien gekommen oder hätte all das gesehen und erlebt!

So gehen meine einmaligen und wertvollen Tage im „Red Centre“ zu Ende. Und ich kann jetzt auch gut von hier weggehen, denn es fühlt sich an, als hätte ich „meinen Auftrag erfüllt“… Ich fühle mich freier. Uns so steige ich voller Leichtigkeit ins Flugzeug und freue mich auf vor mir liegende weitere Tage in Melbourne.