Bis ich an meinem Ziel im YHA Sydney Harbour ankomme, lerne ich schon wieder von der Australierin über den Jamaikaner, der Japanerin bis zum Schweizer diverse Menschen und Nationalitäten kennen. Angekommen, ist alles so vertraut, denn ich bin nicht nur zum zweiten Mal in diesem Hostel mit der besten Rooftop-Terrasse mit Blick auf die Harbour Bridge und die Oper sondern auch das dritte Mal in Sydney. Warum ich nochmal zurück nach Australien bin, hat einen scheinbaren Grund, der wahre wird sich, ohne dass ich ihn jetzt schon wüsste, noch entpuppen. Manchmal verstehe ich auch nicht alles, folge hier aber uneingeschränkt meinem Gefühl, das habe ich mir einst versprochen. Denn gegen meine Intuition zu handeln, hat mir im Leben schon einige unschöne Erfahrungen gebracht 😖
Ich bin die erste von fünf Wochen also im Hostel. Ich kann gar nicht alle Eindrücke, Menschen, Ereignisse aufführen, zu viele davon. Ein ständiger Wechsel von „Mitbewohnern“, wir gehen aus, erkunden die Stadt, machen den Coogee Walk, der uns an der schönen Küste von Coogee nach Bondi führt, zusammen, ich gehe joggen, lande fast unter einem LkW, bin teilweise in Gedanken, dann wieder voll in meinem Element. Eine ständige Begleiterin ist Didi, eine Belgierin mit marokkanischen Wurzeln – passt, wir haben viel Spaß zusammen 😁 Ich kann kaum glauben, wie leicht es ist, hier mit Menschen in Kontakt zu treten. Wann immer wir unterwegs sind, treffen wir auf neue Gruppen, Mädels, Jungs, Einheimische, Europäer, Amerikaner, ach Leute aus der ganzen Welt. Führen immer wieder interessante Gespräche, lachen, feiern, reden.
Ian, mit dem ich die ganze Zeit mehr oder weniger in Kontakt war, nachdem wir uns in Melbourne kennen gelernt haben, lädt mich ein, bei ihnen zu wohnen. Ich stocke etwas, denn es handelt sich um eine brasilianische Männer-WG. Da meine Erfahrung jedoch ist, dass es mit Männern einfach unkompliziert ist, stimme ich zu. Außerdem wollte ich auf der Reise ja auch „couchsurfen“ 😉 Er holt mich ab, sie wohnen etwas außerhalb, doch die City ist in einer halben Stunde mit dem Bus zu erreichen. Anfangs nicht ganz einfach für mich in dem Haus, das ich mir nun also mit Ian, Bruno und Nilson teile. Weniger wegen der Jungs, denn wegen unserer unterschiedlichen Definition von Sauberkeit und Ordnung 😅 Aber man gewöhnt sich ja irgendwann an alles 😆 Das Wichtigste, ich kann so sein, wie ich bin, kann tun und lassen was ich will und bin ehrlich gesagt froh, mal für eine längere Zeit an einem Ort zu sein, ohne alle paar Tage packen und umziehen zu müssen. Ich bin müde, vielleicht vom Reisen, vielleicht von all dem Erlebten und ich glaube insgesamt war alles ein bisschen viel die letzten Wochen: LA, die doch nicht ganz unstressige Tour durch Amerikas Nationalparks, Las Vegas, San Francisco, Sydney. Irgend etwas arbeitet in mir und ich bekomme ein vages Gefühl, warum ich hier bin.
Nach ein paar Tagen spricht Ian mich an und just in diesem Moment laufen die Tränen mir nur so übers Gesicht. Ich meinte, zurück kommen zu müssen, um vielleicht jemanden wiederzutreffen, mich umzuschauen in einem Land, das ich so sehr liebe, in dem ich mir vielleicht sogar hätte vorstellen können einmal zu leben, jemanden zu finden, mein Leben zu leben. Und nun habe ich erkannt, das das nicht meine Wünsche und meine Träume sind, sondern es die meines Vaters waren. Und mit diesem Erkennen könnte ich nun auch direkt wieder abreisen. Es fühlt sich an, als wäre das der dickste „Brocken“ gewesen, den es zu erkennen und aufzulösen galt, weswegen ich möglicherweise überhaupt unterwegs bin. Nun fühlt es sich nach „erledigt“ an, abgehakt, fertig. Jetzt erst kann ich los, meinen eigenen Platz in der Welt, im Leben finden. Und auf einmal bekomme ich Heimweh, fühle mich, als hätte ich nichts mehr zu tun auf dieser Reise. Ich bräuchte nun weder Sydney für weitere Wochen, noch Kanada oder Island. Schweden ja, denn da treffe ich meine liebe Freundin Beate und kann es kaum abwarten, von ihr wieder ein Stück weit in „mein Leben Zuhause“ eingeführt zu werden. Und dann Kroatien, Sommer, Sonne, Meer, meine Verwandtschaft, das ganze Jahr reflektieren, meine eigenen Beiträge lesen, die Bilder anschauen, mich erinnern. Ja, darauf freue ich mich 😍 Und ich fange an, mir Dinge aufzuschreiben, die ich daheim machen möchte, damit mir das Zurückkommen nicht gar so schwer fällt, denn machen wir uns nichts vor, es wird sicher nicht ganz einfach nach all dem Erlebten und einem solch außergewöhnlichen Jahr. Die kommenden Tage schlafe ich wie gefühlt noch nie in meinem Leben. Und trotz der aber vielen Stunden des Schlafs werde ich nicht „wacher“. Es ist ein wenig wie Urlaub haben, den man Zuhause verbringt: ich schlafe aus, frühstücke gemütlich, gehe spazieren, schreibe und erledige, was ich zu erledigen habe, gehe einkaufen, vorzugsweise und zu meiner Freude bei Aldi, das es um die Ecke gibt, koche, quatsche mit den Jungs oder ziehe mich zurück. Manchmal fahre ich nach Sydney rein, um andere zu treffen, die ich aus dem Hostel kenne, allen voran natürlich Didi. Und wie in der ersten Woche, gehen wir auch jetzt meist aus, haben unsere Lieblingslocations, sitzen am Wasser, auf Terrassen mit Ausblick und genießen einfach jeden Moment.
Fast am meisten freue ich mich darüber, dass ich noch zwei der letzten Tickets für das Konzert von „Yiruma“ in der Sydney Oper ergattert habe. Nicht günstig, doch auf jeden Fall lohnenswert. Die Oper ist das schönste Gebäude, das ich weltweit kenne, doch auch nur aus der Entfernung 😆 Kommt man näher oder auch innen, ist es schon etwas in die Jahre gekommen. Nichts desto trotz, ist das eines der schönsten Konzerte überhaupt. Yiruma ist koreanischer Pianist und gesegnet mit einem Talent, dass einem zwischendurch der Atem stockt. Als seien er und das Klavier Eins, unglaublich. Dazu ist er witzig und charmant. Lustig finde ich, dass ich bei einer koreanischen Frisörin in der Stadt war, die früher in Seoul gearbeitet hat und – auch Yiruma die Haare geschnitten hat 😃 Ian begleitet mich ins Konzert und ist fast noch mehr begeistert, denn für ihn ist es sogar das erste mal in einem Opernhaus überhaupt.

An einem Sonntag schnappt Nilson mich und wir fahren zur Küste, gehen spazieren, reden viel. Durch die Jungs lerne ich im Übrigen sehr viel. Sie sind, wie so Viele, nach Australien gekommen, in der Hoffnung, sich ein besseres Leben aufbauen zu können. Mit einem besseren Einkommen und einem anderen Lebensstandard. Doch am Ende ist es ein Zwiespalt, denn trotz des guten Einkommens, sind auch die Lebenshaltungskosten immens hoch. Das Land, in das sie gekommen sind, um hier zu leben, können sie nur bedingt erkunden und bereisen, da sie sparen wollen, um ihren Urlaub dafür zu nutzen, ihre Familie zu besuchen oder sie einfliegen zu lassen, denn auch Heimweh ist ein großes Thema. Und am Ende ist die Frage, ob die Rechnung wirklich aufgeht. Dazu so unterschiedliche Lebensweisen, Regeln, Gegebenheiten und Gesetze. Und so tun sie sich mit anderen Brasilianern zusammen, um ihre Freizeit möglichst heimatgetreu leben zu können. Das, was wir oft verurteilen und meinen, solche Menschen würden sich nicht integrieren. Aber was wissen wir tatsächlich, wie es diesen Menschen geht?
Immer mehr bewundere ich meine Eltern, die es ähnlich taten und in ein Land gingen, in dem sie sich zunächst nicht einmal sprachlich verständigen konnten. Und sich dann ein Leben aufgebaut haben, um schließlich auch ihren Kindern das Bestmögliche bieten zu können – sie haben meinen vollen Respekt und ich bin so unendlich dankbar! Ihre Herausforderungen und Hürden sind letztlich mein Glück, mit all den Chancen, die ich in meinem Leben immer wieder hatte und habe. Danke Mama, Danke Papa!
Ein anderes Beispiel ist Amit, den ich in San Francisco kennen gelernt habe und der mich zum Abendessen ausführt. Er ist Fidschianer, hat Schule und Studium in Neuseeland absolviert, lebt nun in Australien und zieht demnächst nach Großbritannien. Das wiederum ist nur möglich, wenn man einen entsprechenden Job und dadurch auch die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten hat, dazu die Offenheit oder auch vielleicht das Gefühl, sich überall Zuhause fühlen zu können.
Wieder anders bei Marin, geboren in Australien, Vater Kroate, Mutter halb Russin, halb Polin. Er würde, wenn er könnte, nach Europa gehen. Und ich glaube, aus meiner ganz eigenen Erfahrung, egal wo Du lebst, Du hast Deine Wurzeln und es gilt sie zu respektieren und sie, auf welche Weise auch immer, zu leben, zumindest jedoch nicht außer Acht zu lassen, denn sie wirken auf Dich ein und letztlich ist man ein großer Teil seiner Wurzeln. Wie traurig, wenn jemand keine Gelegenheit hat, diese kennenzulernen – in Form seiner Verwandtschaft oder auch des entsprechenden Landes. Ja, auch das beschäftigt mich dieser Tage sehr.
Didi wohnt übrigens bei Marin, so wie ich bei den Jungs. Auch wenn ich mir zwischenzeitlich eine 10er Karte für das Fitnessstudio geholt habe, zum Yoga und ins Pilates gehe, mich an den Geräten verausgabe, kommen Didi und ich zu dem Schluss, dass wir die letzten Tage gemeinsam verbringen sollten. Und so ziehe ich irgendwann zu Marin um. Von den Jungs bekomme ich zum Abschluss ein brasilianisches BBQ deluxe und freue mich, dass wir so einen schönen letzten gemeinsamen Abend haben. Das sind wirklich gute Jungs mit einem großen Herz und ich danke ihnen sehr für ihre Gastfreundschaft!
Ich teile mir mit Didi ein Zimmer und ein großes gemütliches Bett und wir versuchen, aus den letzten Tagen das Beste herauszuholen: das ist in die Stadt gehen, in den Botanischen Garten, Kaffee trinken, das Vivid Light Festival besuchen, in dem gesamt Sydney in unfassbaren Lichtilluminationen versinkt, in dem Gebäude angestrahlt werden und wo es an allen Ecken und Enden leuchtet und blinkt. Wir machen es uns aber auch drinnen gemütlich, kochen, singen Karaoke 🤣 Und doch merke ich mehr und mehr, wie sehr ich es nun kaum abwarten kann, weiterzuziehen. Sydney hinter mir zu lassen, Australien. Fünf mal war ich nun hier, wahrlich außergewöhnlich und ich weiß nicht, ob ich je wieder zurückkehren werde, obwohl ich hier nun auch regelrechten Anschluss habe. Es wird einige Zeit dauern, bis ich verarbeitet habe, was alleine hier mit und in mir geschehen ist. Weiter bin ich hier auch auf zwei, drei eher „ungemütliche“ Menschen gestoßen, habe mich gefragt warum und komme zu dem Schluss, dass das Leben mich prüft, ob ich meine Lektionen auch verstanden habe. Für mich einzustehen, auch hinter mir zu stehen und nicht alles mitmachen zu müssen, aber auch nicht alles mit mir machen zu lassen. Manchmal ist es schwierig, all das in Worte zu fassen und es verständlich zu machen, worum es geht. Gewiss reicht ein Blog dafür auch nicht aus und ich hoffe, dass die Vervollständigung, das „zwischen den Zeilen“ irgendwann umfassender möglich sein wird. Denn erst wenn ich an meinem Ziel angekommen bin, vor dem ich kurz bevor stehe, kann ich selbst verstehen und annehmen, ehe ich es anderen vermitteln kann. Zumindest weiß ich inzwischen, warum ich so viel schlafe. All das will integriert und aufgenommen werden, Höchstleistung für Körper und Geist. Interessant ist allerdings, dass ich hier in Marins Wohnung stundenlang brauche, bis ich einschlafen kann. Meine Gedanken eilen so weit voraus, dass es mir manches Mal zu viel ist. Ja, so ist das mit den Prozessen 😅 Doch auch und gerade dafür bin ich sehr dankbar und wenn mich nun jemand fragt, ob ich glaube, dass ich mich verändert habe. Ja, habe ich. Sicher nicht gleich zu bemerken und ich bin ja jeden Tag mit mir zusammen, daher brauchte ich eine Weile, um es selbst zu realisieren. Und ja, ich denke, ich stehe kurz vor meinem Ziel, das gefunden zu haben, wofür ich los bin. We’ll see, jetzt aber erstmal: let’s go Kanada – zwei Flüge à 11 Stunden, dazwischen fünf Stunden Aufenthalt in Shanghai 😱 Gute Nachricht an mich selbst: es sind die letzten langen Flüge auf dieser Reise 🙃

 

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Wer mich schon unterstützt hat, dem danke ich von ganzem Herzen!! ❤