Am nächsten Morgen stehe ich früh auf und bin abfahrtbereit. Trinidad, die Chilenin, schläft noch und – ich muss den Witz jetzt machen, auch wenn er echt Schmalspur ist – ich frage mich, ob sie ihren Tobago wohl noch findet 🤣 Sie ist übrigens Künstlerin und verdient sich das Reisen über das Malen. Sie fragt beispielsweise in Hostels an, ob sie deren Außenwände verschönern kann und bleibt dann mehrere Tage an denen sie viele Stunden malt.

Der nette Han verabschiedet mich, bestellt mir ein „Grab“, ein ebenso netter Fahrer fährt mich zur Ablegestelle, denn zur Abwechslung nehme ich die Fähre. Dank Michele hatte ich eine Ticketverkaufsstelle gefunden und mir am nächsten Tag die entsprechende Boardingkarte abgeholt. Wie gut, dass ich mir das vorher angeschaut habe, denn ich wäre sonst wohl am Frachthafen gelandet 😆
Obwohl ich innen sitze, friere ich und habe Kofpschmerzen, draußen regnet es. Irgendwie trostlos. Ich kann ein wenig schlafen und als ich drei Stunden später ankomme, ist es zumindest trocken. Ich nehme ein Taxi zu meiner Unterkunft und der freundliche Fahrer ruft dort an, weil er es nicht finden kann. Dass ich es nicht finde, bin ich ja schon gewohnt, aber nun auch der Taxifahrer. Ich stehe an einem gänzlich neuen Gebäudekomplex, der an die Kranhäuser im Rheinauhafen Köln erinnert. Heute ist Harry mein Gastgeber, ein junger, freundlicher Malay-Chinese, der mir erst einmal „Frühstück“ anbietet. Ich esse also den Reis mit der scharfen roten Paste, den minikleinen getrockneten Fischen und einem gekochten Ei. Ich glaube, das Scharfe macht meine Kopfschmerzen nicht besser und schon gar nicht die Britin, die auf mich einredet, als stünde das Ende der Erde bevor. Kennt ihr American Pie und das Mädel, das immer „von damals im Landschulheim“ erzählt, genau so. Dazu gibt sie mir noch das Gefühl, hier völlig im Abseits gelandet zu sein, denn man könne sich ausschließlich mit einem Roller oder den „Grabs“ fortbewegen. Dann zeigt Harry mir mein Zimmer und einen kurzen Moment denke ich einfach nur „wow“ – überdimensional groß, stylish, der komplette Frontbereich aus Glas, die Aussicht ohne Worte. Ich schaue auf kleine Segelboote, die ruhig im Meer liegen, dahinter die Berge, davor ein Tümpel in einer großen Fläche von Gras. Und wenn ich die ganze Zeit nur im Zimmer bleibe, ist alles gut, denke ich mir und muss erst einmal schlafen. Die Kopfschmerzen sind, im wahrsten Sinne, unfassbar. Irgendetwas scheint mich zu beschäftigen, aber ich kann es nicht greifen.
Es ist Spätmittag als ich wach werde und ich laufe los, um etwas zu essen. Lande in einer Art Hinterhof und doch an einem Bächlein gelegen. Das hört sich immer sehr idyllisch an, aber „restauranttechnisch“ ist das ganz und gar nicht so, wie wir das kennen. Es gibt immer nur Plastikstühle, meistens schmutzig, dazu Plastikgeschirr und ich möchte fast sagen Drahtbesteck. Trotzdem schmeckt es lecker und ich freue mich, dass ich schon ein paar Gerichte kenne und auf der Karte identifizieren kann. Als ich zurück komme, zeigt mir Harry ganz aufgeregt einen Zettel, den zwei Holländerinnen aufgehängt haben und Mitfahrende für den nächsten Tag suchen – zur Gondelbahn, um den „Skywalk“ zu gehen. Prima, ich schreibe zwei Sätze und meine Nummer darunter und freue mich, dass mir die Entscheidung, was ich hier so machen könnte, fürs erste abgenommen wird. Später lerne ich die Mädels auch kennen, passt.

Zum verabredeten Zeitpunkt stehe ich morgens unten vor der Türe, als eine der beiden kommt und sagt, dass die Bahn erst um zwölf Uhr öffnet und sie ja heute Mittag schon abreisen und es daher für sie leider zu spät wird. Aber der Franzose, der oben im Aufenthaltsraum sitzt, will auch hin und ich könnte das ja mit ihm machen und vorher vielleicht noch was anderes. Aha. Ich gehe also mit hoch und da sitzt also Antoine, der rein optisch auch locker als Deutscher durchgehen würde und er fragt quietschvergnügt, was wir denn alles machen wollen. Irgendwie ist mir das unangenehm, aber gut, aus der Nummer komme ich jetzt gefühlt nicht mehr heraus. Und so fahren wir zusammen zum „Seven Wells Waterfall“, klettern ein bisschen dort rum, wandern in die Höhe und kommen oberhalb vom Wasserfall an. Er meint, dass wir ins Wasser könnten. Waaas? Okay, das ist das Einzige wo ich vielleicht nicht ganz unkompliziert bin. Gedanken wie: hier, jetzt? Was, wenn ich nicht trocken werde? Und überhaupt… Er zieht halt seine kurze Hose aus, geht in seinen Badeshorts ins Wasser und zieht anschließend seine kurze Hose wieder drüber. Egal, ob er noch klatschnass ist. Ich dagegen suche mir ein Plätzchen und halte zumindest die Füße ins Wasser 😆 Und wie ich da so in Stille sitze, kommt ein Affe nach dem anderen. Und ich meine damit keine Typen, sondern die Tiere 🤣 Ach je, ist das schön, wenngleich ich später auch beobachte wie böse sie werden können, wenn man ihnen kein Essen gibt oder zu nahe kommt, während sie Essen in irgendwelchen Plastiktüten oder gar in fremden Taschen suchen.

Wir wandern wieder abwärts, unterhalten uns ein wenig und gehen dann zur Gondelbahn. Ich weiß nicht, aber das Zusammensein, zumindest in meiner Freizeit, mit allzu ich nenne sie mal verkopften Menschen, fällt mir schwer. Irgendwann sind alle oberflächlichen Fragen gestellt und beantwortet. Ich werde immer ruhiger. Wenn jemand seine Emotionen nicht zeigt, oder besser ausgedrückt, zeigen kann, verunsichert es mich einfach, weil ich mein Gegenüber so wenig einschätzen kann. Und ich spreche nicht von „kategorisieren“ oder in „Schubladen stecken“, sondern es fehlt mir einfach im Miteinander das Gefühl zur Situation. Ich komme zu dem Schluss, dass es einfach meine eigene Unsicherheit sein muss, nichts anderes.
An der Bahn wird nach allen paar Metern ein Touri-Foto geschossen, das man kaufen kann und ich lache mich innerlich schlapp, denn jeder der uns begegnet, mit in der Gondel sitzt oder uns fotografiert, denkt, wir seien zusammen. Innerlich lustig, äußerlich wird es mir zunehmend unangenehmer. Und warum es hier anders ist, als bei Michele zum Beispiel, ist einfach: wir sind gleichaltrig.
Leider ist die Aussicht eingeschränkt, da es sehr bewölkt ist. Dennoch sind wir begeistert von dem was wir sehen und von der „Sky Bridge“, eine der längsten gebogenen Fußgängerbrücken der Welt in 100 Metern Höhe über einer Schlucht, die wir überqueren.
Antoine meint, wir könnten noch zum Strand fahren. Zum Strand. Na gut. Wir sehen ihn aus der Gondel und wollen ab Talstation zu Fuß dorthin gehen. Der Weg führt uns an einer Schnellstraße entlang, die zum Glück nicht sehr befahren ist. In meinen Wanderschuhen ist mir mehr als heiß und mal wieder brennt der Planet. Nach ca. 20 Minuten kommen wir an einen echten Traumstrand – türkisfarbenes Wasser und weißer Sandstrand, an dem kaum jemand zu sehen ist. Wir haben Hunger. An diesen Strand schließt ein privater an und wir fragen den Wachmann, ob wir in dem zugehörigen Hotel etwas essen können oder ob es sonst etwas in der näheren Umgebung gibt. Er sagt, das Hotel hätte neben dem Hotelrestaurant selbst auch einen guten Italiener. Antoine ist begeistert und meint, wir sollten mal schauen. Tun wir und bleiben. Ein Italiener, der zu einem 5 Sterne-Hotel gehört, ich immer noch in Wanderschuhen. Nun gut. Er fragt die überfreundliche Bedienung dann auch noch, ob wir nach dem Essen den Pool nutzen dürfen, was „leider“ nicht geht. Meine Wanderschuhe hätten neben einer der gediegenen Liegen auch echt grotesk ausgesehen, aber ich mache ja fast alles mit. Wir essen ganz gute Pizza, meine erste seit ich in Asien bin. Wenig verwunderlich. Antoine bestellt sich ein Eis als Nachtisch, bittet dann auch gleich noch um einen zweiten Löffel und besteht darauf, dass ich nicht nur probiere, sondern wir es teilen. Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich derart unwohl und ich spüre wie mir das Leben in diesem Moment die Frage stellt, was ich eigentlich will. Einerseits schaue ich auf diese megageniale Poollandschaft samt zugehörigem Hotel, was ich früher so unglaublich genossen habe. Und heute das eher einfache, doch so bereichernde, Backpackerleben. Und ich kann keine Antwort geben. Was an mir vorbeizieht sind alte Erinnerungen an vornehme Hotels, Sterne-Restaurants und schicke Outfits. In dem Fall scheint mir beides irgendwie extrem und unstimmig für mich und ich frage mich, warum ich immer das Gefühl habe, mich zwischen zwei Dingen, in diesem Fall diesen beiden Lebensformen entscheiden zu müssen. Vermutlich, weil ich den Glauben daran verloren habe, dass es jemanden da draußen gibt, mit dem ich beides teilen könnte und der eben so unterschiedliche Seiten hat wie ich selbst. Ich bleibe nachdenklich.
Anschließend fahren wir in den Norden der Insel zum Tanjung Rhu Beach, einem Strand, von dem aus angeblich die schönsten Sonnenuntergänge zu bestaunen sind. Und tatsächlich ist das so. Und wie die Ebbe zunehmend das Wasser davon zieht, erkennt man Menschen, die Richtung der Felsen, die tagsüber unerreichbar sind, durchs Wasser bzw. den Sand waten und sie sehen aus wie Pilgerer. Atoine will auch, mir ist nicht danach. Ich bleibe lieber einen Moment mit meinen vielen Gedanken alleine. Wie gut, meinem Impuls gefolgt zu sein, denn er kommt mit Seeigelstichen zurück.
Der Rückweg gestaltet sich schwierig, denn wir sind so abseits, dass wir zu dieser inzwischen fortgeschrittenen Uhrzeit kein „Grab“ mehr bekommen. Wir fragen eine Familie, ob sie uns zumindest bis zum nächsten Ort mitnehmen kann. Eine äußerst freundliche Familie – Polen, die in Spanien leben und sogar deutsch können. Ihre 6 ½ jährige Tochter sitzt hinten neben mir und unterhält sich ganz freudig in englisch mit mir. Über so etwas kann ich mich ja so richtig freuen. Wir kommen also irgendwann wieder zurück und ich bin erstaunt darüber, zwölf Stunden mit einem Fremden unterwegs gewesen zu sein.

Am nächsten Morgen sehe ich Antoine nicht und mir ist eigentlich nach gar nichts Tun, denn immer noch ist in meiner „Innenwelt“ einiges los und ich bekomme die Gedanken erst nach einem Telefonat sortiert. Eine Traurigkeit kommt auf und es geht darum, meinen „Platz im Leben“ zu finden. Was wäre die Welt ohne eine Freundin, die Dich manchmal besser zu kennen scheint, als Du selbst 😊
Ich kann schließlich der Frage einer jungen quirligen Chinesin nicht widerstehen und verabrede mich mit ihr. Wir wollen in den Wildlife Park. Und ich bin froh, dass ich das mache, denn auch wenn es nicht die großen wilden Tiere gibt, so machen die kleinen einen Riesenfreude. Ich füttere einen Waschbären und bei den Vögeln habe ich kaum Kraft, so viele auf meinen Armen zu halten – Wellensittiche, kleine Papageien und viele bunte wie auch immer sie alle heißen. Zwei Loris wollen gar nicht mehr weg, kraxeln auf mir herum, der eine kommt auf meinen Schenkel, als es auf einmal sehr warm wird. Na ja, was muss, das muss 🤣 Nach dem wirklich schönen Parkbesuch fahren wir zum „Eagle Square“, das Wahrzeichen der Insel, da es auf ihr sehr viele Seeadler gibt. Ich habe auch schon mehrere gesehen und sie sind einfach beeindruckend, wie sie da so am Himmel kreisen. Erstaunlicherweise habe ich bislang keine einzige Möwe gesehen. Die Natur und die Tierwelt sind bezeichnend für die Insel, von den Stränden sagt man, sie seien nicht so schön wie die auf der Ostseite Malaysias. Ich würde das so nicht ganz unterschreiben, es kommt ganz darauf an, welche Strände man sich herauspickt.
Auf jeden Fall ist es ein schöner kleiner Ausflug mit Semine und ich darf Chinesen noch einmal ganz anders kennen lernen. Und eigentlich braucht man sich nicht zu wundern, dass sie immer so geschäftig unterwegs sind und nur am Fotografieren. Bei kaum 20 Tagen Urlaub inklusive der Feiertage pro Jahr, bleibt nicht viel Zeit für irgendetwas. Sie sagt auch, dass morgens nicht einmal Zeit für einen Kaffee ist, weil man schauen muss, wie man durch die Rushhour kommt. Ein wenig konnte ich es ja miterleben, als ich selbst in Peking war. Sie sagt weiter, dass die Chinesen so viel arbeiten und doch kann sich kaum jemand ein Haus oder Größeres leisten. Sie ist trotzdem so positiv und hat für sich, mit gerade einmal 20 Jahren, einen Weg gefunden. Und trotz der vielen Einschränkungen finden auch dort die jungen Menschen einen Weg, sich zu vernetzen. Ich wünsche ihr, dass sie sich das alles beibehalten kann.

Als wir zurückkommen, treffe ich auf Antoine, der den ganzen Tag geschlafen hat. Er konnte nachts nicht schlafen, weil er Horrorvorstellungen wegen seiner Seeigelstiche hatte (Thema leidende Männer 🤣) und auch wegen des Jetlag. Und dann sagt er, dass wir gestern einen wirklich schönen Tag hatten und fragt, was ich heute vorhabe. Das sind ja fast schon Emotionen, die er da zeigt und ich grinse innerlich. Jetzt brauche ich aber definitiv Zeit für mich, bleibe da und telefoniere lange per Videoanruf mit meiner Nika-Nichten-Maus. Wir erzählen uns, lachen, machen Schabernack und fast ist es, als wäre ich gar nicht weg. Oh wie gerne ich sie bei mir hätte.

Abends lädt die Britin zum Wein ein, da es ihr letzter Abend hier ist und nach einiger Zeit sind wir eine ganze Gruppe, haben einen schönen und auch interessanten Austausch. Auch die anderen scheint zu beschäftigen, wie deren Leben weitergeht und was sie eigentlich wollen. Antoine ist ganz vorne mit seinen Ausführungen und ich staune. Manchen Menschen muss man wohl einfach nur etwas Zeit lassen. Oder sich selbst 😉
Wir lockern das Ganze nicht nur durch zwei Gesellschaftsspiele auf, sondern Harry fängt an, uns noch alles Essbare, was er auftun kann, zu servieren. Kleine Würstchen mit scharfer Sauce, Saté-Spieße und Toast mit Honig, denke ich. Es stellt sich allerdings heraus, dass es Kondensmilch (!) ist, die er darauf geschmiert hat. Unglaublich, der Malaye als solcher ist zuckersüchtig. Es gibt nichts, wo kein Zucker darin oder darauf wäre.

Und so wird es zwei Uhr nachts bis wir uns nach einem Selfie verabschieden. Antoine sagt, zu diesem Zeitpunkt dann zum dritten Mal, was für einen schönen Tag wir hatten. Dieses Mal freue ich mich einfach und finde es jetzt sogar schade, dass er morgen abreist. Ein Kommen und Gehen, ein Kennenlernen und wieder Abschied nehmen.

Am nächsten Tag bleibe ich den Franzosen treu und fahre mit Naia zum Cenang Beach. Hier kann man wohl die schönsten Sonnenaufgänge sehen, dafür sind wir allerdings deutlich zu spät. Auch sie teilt ihre Gedanken mit mir, teils sehr persönliche. Sie hat ein Jahr für Chanèl gearbeitet und weiß mit 22 Jahren, dass ein „nine to five“-Job nichts für sie ist. Und in diesem Moment frage ich mich, was wir eigentlich alle suchen, ob es das gleiche ist, wann, wo und wie wir es finden können und ob wir es dann auch werden.

Eines ist mir schon mal gelungen: meine perfektionistische Planungen zu reduzieren. Ich weiß um 18 Uhr abends noch nicht, wo ich am nächsten Tag übernachten werde, nicht einmal den Ort. Und dabei bleibe ich ganz gelassen. Hatte ich mir gar nicht zugetraut 😁