Ich überstehe die langen Flüge bestens, bin ich doch mal wieder gesegnet mit je zwei Sitzen. Ein Mal eigentlich zweieinhalb, da ich mir mit einer Frau eine Viererreihe teile und wir uns sogar zum Schlafen mit Liegen abwechseln können 😊 Weniger schön ist allerdings mein Aufenthalt in Shanghai. Er ist sogar unfassbar. Ich werde behandelt, als würde ich regulär in China einreisen. Ewige Warteschlangen, Kontrollen, jeden Flughafenangestellten den ich frage, sagt mir – sofern er englisch spricht – etwas anderes, wo ich hin muss. Sogar ein Tagesvisum wird mir verpasst, wofür ich natürlich ein Formular ausfüllen muss. Leute, ich habe einen Anschlussflug und verlasse nicht mal für eine Minute den Flughafen! Ich muss also auch mein Gepäck abholen und erneut wieder aufgeben. Ja, so sind die Regularien hier. Den Höhepunkt erlebe ich schließlich bei der Sicherheitskontrolle, wo sie mir meinen Taschenalarm abnehmen wollen, den ich schon seit zehn Monaten im Handgepäck mit mir führe. Den ich auch in Beijing schon bei mir hatte. Ich halte ja für gewöhnlich in solchen Situationen meinen Mund, aber a) war das ein Geschenk und b) kann das wohl alles nicht wahr sein, also sage ich etwas. Ich mache so lange rum, bis der junge Mann seinen Chef kommen lässt, der dasselbe sagt. Inzwischen werde ich schon mit Passnummer in einem Buch registriert. Ich bin übermüdet, überfordert, gereizt, fange an zu diskutieren, auch an zu heulen. Zugegeben, völlig übertrieben, aber die gehen mir so was von auf den Zeiger. Zumindest gelingt es mir dadurch, das Teil zu behalten, der Kompromiss ist, dass die Batterien entfernt werden – aufwändig mit Schraubenzieher und so. Meine Güte! Ich bin selten so glücklich wie in dem Moment als ich wieder abfliege. Von fünf Stunden Aufenthalt hatte ich genau eine Stunde, in der nichts war 😠

Jennifer, dich ich in Airlie Beach, Australien im Dezember kennen gelernt habe, landet fast zeitgleich in Vancouver und als ich aus dem International Arrivals-Terminal heraus komme, wartet sie schon. Was für ein schönes Gefühl, dass irgendwo da draußen in der Welt jemand am Flughafen auf Dich wartet! Wir freuen uns riesig über unser Wiedersehen. Wir hatten ausgemacht, dass ich sie in Kanada besuche. Sie wohnt eigentlich in Toronto, hat aber kommende Woche zufällig eine Konferenz hier und wollte unbedingt schon das Wochenende mit mir verbringen. Anschließend werde ich, wenn auch etwas zeitversetzt, mit ihr nach Toronto fliegen. Durch meinen erneuten Australien-Aufenthalt bleibt für Kanada nun leider nicht mehr viel Zeit, aber ich bin mir sicher, dass ich auch hier das Bestmögliche herausholen werde 😉

Wir nehmen den Skytrain und schnattern drauf los, durcheinander, wirr, ohne Punkt und Komma 😅 Wir wollen alles, was im letzten halben Jahr passiert ist, voneinander wissen. Fast verpassen wir vor lauter lauter unsere Station. Und da stehen wir: mitten in Vancouver, wow. Und ich bin es gar nicht mehr gewohnt, dass abends noch hell ist. Ein freundlich-faszinierender Abendhimmel durch die Hochhäuser und belebten Straßen hindurch. Wir gehen zu unserem Hostel, das zentraler nicht liegen könnte – strike! Eigentlich sollte ich schlafen gehen, aber das wäre ja vernünftig 😆 Wir gehen also los, um etwas zu essen. Wir kennen uns beide nicht aus, haben jedoch schnell raus, wo die „Ausgehmeile“ ist. Ich lache als ich zwei Männer in Tracht sehe, die mit Horn und Ziehharmonika mir vertraute Musik spielen. Ich bleibe stehen, sie können sogar deutsch und ich darf mir ein Lied wünschen. Auf die Schnelle fällt mir nichts Besseres als „Anton aus Tirol“ ein und während sie spielen, tanze ich – mitten auf der Straße in einer Großstadt namens Vancouver 🤣 Ein lustiger Start. Ganz in der Nähe finden wir auch ein Bistrorant, können draußen sitzen und das Treiben beobachten, während wir essen und weiter im Wechsel erzählen und erzählen. Nach einiger Zeit sperrt die Polizei die Straße ab und wir wundern uns schon ein wenig, bis wir nach einiger Zeit mitbekommen, dass das freitags und samstags hier üblich ist, damit Feiernde nicht vom Verkehr „gestört“ werden, na gut, vielleicht auch umgekehrt 😆 Direkt neben der Kneipe, bauen zwei Jungs Lautsprecherboxen auf und fangen schließlich mit Mikrofon an zu rappen, es kommen immer mehr hinzu, wechseln sich ab, andere performen dazu. Ich dachte ja, in Kanada wird es jetzt endlich etwas ruhiger und da bin ich schon wieder mittendrin im Geschehen 🤪
Nach Mitternacht im Bett, viel zu früh wieder auf, so what. Wir machen uns irgendwann auf den Weg und kommen genau eine Hausnummer weiter 😆 Da ist so eine Boutique mit Kleidern und ich will nur kurz schauen, ganz kurz, wirklich. Am Ende sind wir bestimmt eineinhalb Stunden drin und kaufen uns beide ein Kleid. Die werden hier alle selbst designed und genäht und meins ist glücklicherweise reduziert. Ich hab’s gesehen und war sofort verliebt, wollte ich doch schon immer genau SO eins haben 😉 Keine Ahnung, wie das noch in mein Gepäck passen soll, egal. Die Kleider von uns könnten unterschiedlicher nicht sein, das von zwei anderen Frauen ebenso. Das lässt uns erkennen, wie einzigartig unterschiedlich wir alle sind und jede schön auf ihre Weise. Das mag sich komisch anhören, aber in dem Moment ist es wirklich ein Erkennen von Einmaligkeit und wie besonders doch jeder einzelne Mensch, in dem Falle jede einzelne Frau, ist. So viele Komplexe, die wir Frauen mit uns herum tragen, weil wir vermeintlich zu dick, zu dünn oder anderweitig unzureichend zu sein scheinen. Ein Moment ohne Konkurrenz, schrägem Blick oder dergleichen, nur das gegenseitige Anerkennen und Wertschätzen, wie schön ☺
Irgendwann machen wir uns dann also endlich auf den Weg, um die Stadt ein wenig zu erkunden. Ganz so weit kommen wir wieder nicht, denn eine „Public Disco“ am helllichten Tag mit schräg-skurrilen Menschen zieht unsere Aufmerksamkeit in ihren Bann. Das entspricht dem, was wir vom „in einer Fußgängerzone im Café sitzen und Leute beobachten“ kennen. So stehen wir einfach da, schauen, staunen, bewegen uns selbst ein bisschen zur Musik. Irgendwann schaffen wir es auch hier wieder weg und gehen Richtung Wasser. Wie schön das aussieht mit den Bergen im Hintergrund. Und fast fühlt es sich ein wenig nach heimischeren Gefilden an – es könnte am Bodensee sein oder auch in der Schweiz. Wir leihen uns Fahrräder, um den anliegenden Stanley Park zu umrunden. Ein Must do in Vancouver. Schon beim Losradeln bin ich einfach nur begeistert. Denn Häfen habe ich ja schon viele sehen dürfen, doch in der Form, umgeben von so viel Natur und Bergen im Hintergrund, noch nicht. Wir kommen an einem Leuchtturm vorbei, an dem gerade Hochzeitsbilder gemacht werden, am „Hallelujah Point“, von dem aus man den besten Blick auf die Skyline der Stadt hat und wir sehen die Lions Gate Bridge, die mich doch sehr an die Golden Gate Bridge erinnert, jedoch grün und nicht rot ist 🙃 Fast lege ich eine Vollbremsung hin, als ich ein ziemlich großes Tier am Rand sehe und bin völlig perplex, als ich erkenne, dass es ein Waschbär ist, der keinen Meter von mir entfernt ist. Jen ist leicht panisch, sagt, die können aggressiv werden. Kurz ist mir das egal, schließlich muss ich Fotos machen, außerdem kann ich mir das kaum vorstellen, so süß wie sie aussehen 😊 Wir umrunden den inselartigen Park komplett, für das Innere, was geprägt ist von Wäldern und Grün, reicht leider die Zeit nicht. Doch auch so ist es einfach traumhaft, bei Sonnenschein am Wasser zu radeln und zum Abschluss noch die Lost Lagoon zu sehen. Was für ein erfüllender kleiner Ausflug. Nach einem kleinen Snack gehen wir zurück ins Hostel, um uns ein wenig auszuruhen, in Schale zu werfen, um schließlich die Stadt in der zweiten Runde nun unsicher zu machen 😉 Wir ziehen unsere neuen Kleider an, was ich eigentlich zu schick finde, aber andererseits, warum auch nicht.
Es ist mir gestern schon aufgefallen, doch heute noch viel mehr, dass Vancouver die vermutlich meisten Obdachlosen, die ich je in einer Großstadt gesehen habe, hat und daneben auch die wohl ethnisch vielfältigste Stadt überhaupt ist. Ich hätte das so nicht vermutet und komme aus dem Staunen nicht heraus – sämtliche Farben und Sprachen, die uns da begegnen, mit denen wir auch mal eben ins Gespräch kommen und ich wieder Einiges dazu lernen darf. Wir starten in einer genau solchen multikulti Bar und wüsste ich nicht, wo ich bin, würde ich mich irgendwo ganz anders auf der Erde vermuten, vielleicht in Afrika oder auch in der Karibik. Diese Straße, in der sich am Abend alles abzuspielen scheint ist voll mit Menschen, die alle auf der Suche nach einem passenden Club sind. Auch wir wollen etwas finden, wo wir nicht die Ältesten sind und gleichermaßen Freude an der Musik haben. Wir werden fündig, allerdings ist Anstehen angesagt und das nicht kurz 🙄 Das gibt jedoch auch wieder Gelegenheit für Gespräche und viel Spaß. Finally – wir sind drin. Gehen an der Bar entlang und da fällt mir jemand ins Auge. (Amnesty International zu Folge ist es eine „Person of Colour“, was die korrekt-korrekte Bezeichnung eines nicht weißen Menschen ist 😅) Wir schauen uns an und ich weiß nicht, ob ihr dieses Phänomen kennt, doch sofort kommt das Gefühl in mir auf, diesen Menschen zu kennen. Skurril. Jen und ich gehen erst einmal auf die Toilette, das machen Mädels nun mal im Kollektiv 😁 Als wir zurückkommen und uns direkt auf die Tanzfläche begeben, haben wir den Eindruck, als wären alle Augen auf uns gerichtet. Mir ist das egal, ich gebe mich der Musik hin und bin voll in meinem Element. Bis ein junger Kerl, ebenfalls PoC (Person of Colour) kommt und mit mir tanzt. Als dann plötzlich der andere von der Bar vor mir steht, bin ich überfordert, höre auf zu tanzen. Beide schauen mich fragend an. Was ist das denn? Ich lache schaue von einem zum anderen, während immer noch beide fragend zu mir schauen. Ich scheine mich „entscheiden“ zu müssen 🤣 Ich sage ihnen, dass ich sie beide mag, warte einen Moment und sage schließlich zum Jüngeren, dass ich den anderen zuerst gesehen hatte 😆 Scheint okay für ihn, er freut sich sogar und zieht weiter. Als Doron mir kurz darauf sagt, dass das sein Cousin gewesen sei, komme ich aus dem Grinsen nicht mehr raus. Also tanze ich mit Doron weiter, wir trinken was zusammen, unterhalten uns und dieses Gefühl, dass ich ihn kenne wird immer stärker. Ich meine, es ist ausgeschlossen, dass ich ihn kennen kann, zumindest aus diesem Leben, denn er ist gebürtiger Israeli und lebt seit sieben Jahren mit seiner Familie nun in Vancouver. Was für ein schöner Abend. Wir lachen auch viel, unter anderem als ein junger Mexikaner, der mein Sohn sein könnte, unsere Biere tauscht, da er der Meinung ist, ich müsse mexikanisches trinken 😆 Zurück im Hostel bin ich mal wieder einfach nur dankbar für das Erlebte.

Eigentlich war der Plan mal, sonntags wandern zu gehen. Bis wir jedoch überhaupt erstmal aus dem Bett kommen und dann ein Plätzchen finden, wo wir etwas frühstücken können, vergeht schon so viel Zeit, dass uns immer klarer wird, dass das nichts wird. Außerdem hat Jen eine Verabredung mit Freunden, die zur selben Veranstaltung hier sind, wie sie, organisiert, um zusammen die NBA Finals zu schauen, in denen die Toronto Raptors gegen die San Francisco Warriors spielen. Und dazwischen löchert Jen mich mit gefühlt tausenden von Fragen meinen „Weg“ betreffend. Wir reden überhaupt unglaublich viel, intensiv, über Gott und die Welt. Und nicht nur bei Jen kommt dadurch einiges in Bewegung, nein, auch bei mir. Ich scheine seit Sydney in einem Prozess zu sein, der immer noch andauert. Interessant, spannend, aber auch nicht unanstrengend. Und a propos Sydney – ich habe selten so den Jetlag gespürt wie gerade. Daher bleibe ich auch nicht lange zum NBA Finals schauen, wenngleich die Stimmung mega ist. Allerdings muss ich gestehen, dass ich ja schon auch eher mit der Mannschaft aus San Francisco liebäugele, ist schließlich meine neue Lieblingsgroßstadt. In Toronto war ich ja noch nicht. Daher ist es besser, dass ich vielleicht gehe und mich einfach ein wenig ausruhe. Zugegeben habe ich auch nicht die geringste Ahnung von Spielregeln im Basketball 😅
Ich dümple zwar vor mich hin, aber von Schlafen keine Spur. Das Schlimme, das geht mir bis morgens um fünf Uhr so!! Ich versuche es mit lesen, ruhiger Musik, nichts. Ich bin so müde und kann nicht schlafen. Allerdings auch interessant, was sich in dieser Nacht so tut. Über Xing bekomme ich eine persönliche Nachricht, in der mir ein Job angeboten wird, auf Instagram schreibe ich mit einem Fremden und man kann fast schon von einem Coaching sprechen, es melden sich ein paar Reisebekanntschaften. Läuft, zumindest mache ich das Beste aus der schlaflosen Nacht, was ich so ja null Komma null kenne, bin ich doch eher diejenige, die es nicht mal mehr schafft, sich im Bett umzudrehen, weil ich schon eingeschlafen bin 😴

Nachdem ich endlich eingeschlafen bin, nehme ich mir auch entsprechend Zeit dafür 😆 Später bin ich mit Doron verabredet. Auf einem Platz, der mir als einziger wieder auffindbar scheint und gut erreichbar ist. Da denke ich, kein Problem, ihn wieder zu erkennen. Pustekuchen, da gibt es mehr People of Colour als sonst wo und Samstag Abend im Club war ja zudem dunkel 😅 Klappt trotzdem irgendwann. Wir gehen ein bisschen spazieren, etwas Essen und haben eines dieser Gespräche, die man nie enden lassen möchte. Ich würde mal sagen, Seelenverwandten getroffen. So schön und sehr berührend. Ich bin ja inzwischen besser geworden mit Abschied nehmen, heute fällt es mir jedoch wieder schwer. Doch umgekehrt darf ich dankbar sein, solch eine Begegnung überhaupt erlebt zu haben. Und wie heißt es so schön „man trifft sich immer zwei Mal im Leben“. Na dann hoffe ich mal genau darauf ☺

Da Vancouver, im Vergleich zu Toronto, von Natur umgeben ist und ich ja nun nicht viel Zeit für Kanada habe, mache ich mich an meinem letzten Tag auf die Socken, um in den Lynn Canyon Park zu fahren. Bus fahren scheint hier, im Gegensatz zu Australien, zumindest dahingehend leichter, dass man einfach seine Kreditkarte im Bus gegen ein Gedöns drückt und damit bezahlt hat und mitfahren darf und sich nicht vorher eine Karte besorgen und aufladen muss. Und so fahre ich durch die Stadt hindurch, schließlich hinaus und es wird zunehmend grüner. Mit einigem Fußweg gelange ich dann auch in den „Lynn Canyon Park“, wo mich als erstes ein Schild begrüßt, wie mit Bären umzugehen ist. Ich denke erst, das ist ein Witz, ist es hier in Kanada aber nicht. Na ja, besser als giftige Schlangen und Spinnen, zumindest in meiner Vorstellung 😆 Über eine Hängebrücke gelange ich in den Wald, sehe die ersten Wasserfälle von oben und fühle mich fast wie Zuhause im Schwarzwald. Wirklich, die Ähnlichkeit ist sehr verblüffend. Vielleicht ein paar andere oder bemoostere Bäume, doch alles in allem könnte das tatsächlich auch bei uns sein. Ich gehe am Wasser entlang, das klarer nicht sein könnte und erreiche am „30 Foot Pool“ das Highlight schlechthin: glasklares Wasser in grüner Farbe, mega! An manchen Stellen wird es dunkler, mintgrün, jedoch immer noch so klar, dass man jeden einzelnen Stein im Wasser erkennen kann. Das tut gerade richtig gut nach so viel Großstädten und immerhin werden aus dem Spaziergang 12 Kilometer und das bei bester Luft und Sonnenschein. Ja, ich glaube Kanada kommt nochmal mit auf meine Liste, um es irgendwann doch mit Campervan zu bereisen 😊 Es war letztlich nur ein verlängertes Wochenende, doch ich durfte es vielfältig erleben und freue mich definitiv, hier gewesen zu sein.