Ich lande also auf Krk (nein, ich habe keinen Selbstlaut vergessen, die Insel ist tatsächlich ein Zungenbrecher für Ungeübte 😆) – eine schöne, kleine, überschaubare Insel im Norden an Kroatiens langer Küste, auf die meine Familie und ich schon seit über zwanzig Jahren jährlich kommen. Es trennt mich nur noch eine Zolltüre von meiner Mutter. Als sie sich öffnet, kann ich sie draußen schon stehen sehen. Wir fallen uns in die Arme und haben beide Tränen in den Augen. Immerhin war ich noch nie so lange von meiner Mutter getrennt beziehungsweise sie von mir. Und das Wichtigste: ich bin tatsächlich, heil und unversehrt wieder „zurück“ 😊
Sie hat unsere ehemalige Lieblingsnachbarin dabei, oder besser gesagt, sie wurde von Mirjana zum Flughafen gefahren, damit sie mich persönlich „in Empfang nehmen“ kann. Nach ein paar Wiedersehensbildern geht es los und wir sind direkt zum Mittagessen eingeladen. Ich esse, als hätte ich ein Jahr nichts bekommen, was man ja so ganz und gar nicht behaupten kann 😆 Und es dauert nicht lange, da fühle ich mich… als wäre ich nie weg gewesen 😳 Es muss an dieser vertrauten Umgebung liegen oder auch daran, dass wir einfach reden, als hätten wir uns vor erst gar nicht allzu langer Zeit das letzte Mal gesehen. Ein paar aktuelle Nachbarn und der Sohn von Mirjana stellen mir Fragen zu meiner Reise, ich antworte, jedoch eher stoisch. Das Gefühl bleibt. Auch, als ich mit meiner Mutter ihre Ferienwohnung betrete. Ich liebe diese Wohnung, so eine würde ich daheim auch nehmen. Ich hatte sogar mal überlegt, ob hier nicht ein guter Platz für mich wäre, doch dazu später mehr.
Meine Ma erzählt mir das Neueste von „der Insel“, ich packe nebenher meinen Rucksack aus, sie bügelt das verknitterte Zeug direkt – ja so sind Mütter. Da hilft es auch nicht zu sagen, dass der Krempel ein Jahr nicht gebügelt wurde 🤪 Doch sonst: alles wie immer, also wie vorher, bevor ich ging. Seltsam. Das Einzige, was sich verändert hat, ist meine Sprache. Es ist, als könnte ich kein kroatisch mehr. Bei meiner Mutter völlig wumpe, da wir ohnehin immer „Mischmasch“ reden, aber vorhin beim Essen, da habe ich mir schon echt einen abgebrochen. Bei Ute fielen mir deutsche Wörter schon nicht ein und hier habe ich das Gefühl, ich müsse erst ins Deutsche übersetzen und dann ins Kroatische, was ist das denn 😳
Ich schlafe die erste Nacht richtig gut. Nun ja, nach dem vergangenen Wochenende vermutlich wenig verwunderlich 😉 Da ja soweit alles „wie immer“ ist, bestehen unsere Tage aus: ich werde bekocht, wir gehen an den Strand oder ich mache nichts, obwohl ich einiges machen wollte, wir gehen spazieren, meine Mutter folgt ihrem „Alltag“, ich suche meinen noch. Ich will schreiben, kann mich aber nicht recht aufraffen, will Bilder sortieren, sind zu viele. Und so vertrödele ich Tag um Tag. Immerhin gehen wir auch mal Essen oder in das nächstgrößere Örtchen zum Bummeln und ins Café, treffen Bekannte. In die Gänge komme ich nicht wirklich und ich frage mich, was los ist mit mir. Es macht mir total zu schaffen, das Gefühl zu haben, ich sei nie auf dieser Reise gewesen. Ich sollte unbedingt und möchte meine Berichte lesen, doch eigentlich will ich vorher bis zum heutigen Tag alles geschrieben haben, wozu ich eben jedoch keine Muße habe. Wie mühselig. Ich nehme mir das alles für dann vor, wenn meine Mutter abreist, doch nun bleibt sie nicht nur eine, sondern fast zwei Wochen. Also mache ich auch in fast zwei Wochen nicht viel von dem, was ich wollte. Hm, das hatte ich mir anders vorgestellt. Ja, immer diese Vorstellungen, Pläne und Vorhaben 😅 Vielleicht wäre es ja auch mal an der Zeit, anzuerkennen, was ich das letzte Jahr gemacht, um nicht zu sagen „geleistet“ habe und dass es okay ist, gerade mal nichts zu tun. Was mich zur Ruhe bringt, sind meine Spaziergänge im Wald. Nicht in irgendeinem Wald, in meinem Lieblingswald. Fünf bis sieben Minuten sind es zum Strand in die eine Richtung und genau so lange in den Wald in die andere. Ein Pinienwald mit guter Luft, der an Feldern, Wiesen, Olivenhainen vorbei führt, die sich allesamt durch alte Steinmauern voneinander abgrenzen. Meine Lieblingsfarbe, die ich vermutlich nicht mehr erwähnen brauche 😄, in allen Tönen, dazu die rote Erde – ja, hier fühle ich mich wohl. Und so schräg sich das anhören mag, mein Lieblingsplatz ist der alte Friedhof, der friedlicher und schöner nicht eingebettet in der Natur liegen könnte. Mit seinem alten Steinturm, einer einzelnen Palme daneben und ansonsten hoch gewachsenen Zypressen. Der Friedhof ist nicht besonders groß, dafür die Gräber besonders alt und irgendwie scheint hier die Uhr still zu stehen. Ich gebe zu, ein möglicherweise unpassendes Sinnbild 😬 Auf jeden Fall kann ich hier in Ruhe Sein, meine Gedanken sortieren, meine Wünsche formulieren, mir klar werden. Vermutlich nicht der erste Ort, der einem dazu einfällt, doch für mich seit Jahren der richtige. Wenn ich gut drauf bin, jogge ich den Weg auch, doch ich möchte mich auch nicht zu sehr überfordern 🤣 Und obwohl ich am Meer bin mit dem klarsten Wasser, das man sich nur vorstellen kann, zieht es mich da nicht übermäßig hinein. Ich mache es, weil es abkühlt und sich ja auch ganz schön anfühlt, ein bisschen im Meer zu schwimmen, ist aber nach wie vor nicht mein Element. Dafür wiederum kann ich ewig in der Sonne brutzeln, wobei auch nicht mehr ganz so lange wie früher einmal. Gut für meine Haut 😉

Irgendwann ist es soweit und ich schaffe einen Bericht nebst zugehöriger Bilder. Und habe dabei richtig Spaß, muss selbst herzlich lachen. Es braucht wohl auch hierfür den „richtigen“ Moment, die entsprechende Beschaulichkeit und dann läuft es auch wie am Schnürchen. Dennoch nicht zu unterschätzen, wie viel Arbeit das ist: wieder voll und ganz eintauchen in das Erlebte, das ja zumeist ein wenig zurück liegt, da ich selten, gerade im Zusammensein mit anderen, direkt schreiben kann. Außerdem ist das Schreiben gleichermaßen eine Reflektion und braucht daher etwas Abstand. Und ich bin dankbar, dass ich beim Durschauen der Bilder wieder alles 1:1 in mir aufleben lassen kann: jede Erfahrung, jeden Witz, jede Emotion. Dann bin ich ja weiter mein eigener Korrekturleser und Kritiker, auch das Hochladen und Anpassen benötigt in entsprechendem Programm seine Zeit. Ganz zu schweigen von den Bildern: zunächst die Auswahl, schwierig genug, dann das Erstellen der Collagen, was ein gewisses Kompensieren der abervielen Bilder ist. Das Hochladen dieser braucht schließlich bei schlechtem Wlan gute Nerven (über die ich nicht immer gleichermaßen verfüge 😅) und zu guter Letzt muss ich jedes einzelne Bild bearbeiten, damit ihr es anklicken und in groß auf eurem Rechner oder Smartphone anschauen könnt. Ach ja, einen kleinen Bildtext braucht es ja auch, weil es neben euch, den Lesern, auch die „nur Fotoschauer“ gibt 🤪 Und hin und wieder mal eine Recherche, damit ich keine falschen Fakten veröffentliche, gehört ebenfalls dazu. Es braucht also ein bis zwei gesamte „Arbeitstage“ pro Bericht inklusive Bildern. Trotz des Aufwandes bin ich sehr dankbar, dass es mir gelungen ist, das ganze Jahr über akribisch dran zu bleiben, wenn auch manches Mal zeitverzögert, denn ich wüsste die Hälfte von dem Erlebten schon heute nicht mehr. Und wie hat mein Schwager die Tage am Telefon gesagt, nachdem wir es davon hatten „Ja, lies Deine Berichte nochmal, sonst wissen Deine Leser am Ende mehr als Du selbst“ 😆 Mach ich, und bin schon ganz gespannt, wie sich das für mich selbst liest.

Ruck zuck sind zwei Wochen um und meine Mutter reist ab, fährt noch zu meinem Onkel. Sowas, da hatte ich a) noch so viel mit ihr vor und b) wollte ich ja auch irgendwann meine Ruhe und jetzt ist es mir zu ruhig 🤣 Und das ist genau das Heimtückische: die Balance zu finden – zwischen Trubel und Ruhe. So wie im Alltag, zwischen Arbeit und Freizeit. Und dann weiß ich, brauche ich ein paar Tage, sträube mich, wird es unbequem, weil sich wieder mal irgendetwas Bahn an die Oberfläche bricht. Bam! Ich sehe schon, bis zum letzten Moment „geschehen“ Dinge mit mir, bin ich im Prozess. Und dann auch wieder einen Schritt weiter. Läuft also, auch wenn es sich nicht immer so anfühlt, ja manches Mal nicht einmal gut 🤪 Außerdem spüre ich, wie langsam wieder Druck in mir wächst. Druck, „alles“ (was ist eigentlich „alles“?) schaffen zu müssen, mich auf meine endgültige Rückkehr vorzubereiten und ja, es gibt auch Ängste und die kommen gerade so fies um die Ecke wie die Schnaken hier, denen ich seit den Cook Islands nicht mehr begegnet bin und sie dadurch vergessen hatte, diese unsäglich-elenden Viecher 😠 Immerhin lebe ich seit nun fast einem Jahr wespenfrei und man kann eben auch nicht alles haben 😆

Jen aus Kanada schreibt und fragt, ob wir nicht mal telefonieren können. Machen wir. Und was sie mir erzählt, hört sich ganz nach mir selbst an, zum Thema, dass die Zeit rennt und sie Angst hat, nicht „alles“ zu schaffen, so lange sie frei hat. Da kommt mir die glorreiche Idee, wir könnten jeweils einen Plan erstellen, an dem wir uns tagtäglich entlang hangeln, um fokussierter an die Dinge (= „alles“ 🤪) heran zu gehen. Ist doch prima, wenn man sich da gegenseitig motivieren kann. Gesagt, getan, wir schicken uns die jeweiligen Pläne per WhatsApp, kommentieren sie, stellen Rückfragen, um die Realisierbarkeit einzuschätzen, was man ja selbst gerne mal unterschätzt, räusper. Okay, Plan steht. Super. Ziehe ich durch. Einen ganzen Tag lang 🤣 Ich bin so bescheuert. Nun habe ich so lange die Erfahrung machen dürfen, dass alles zu seiner Zeit geschieht und dann auch flutscht und vertraue dem immer noch nicht. Na ja, einen Versuch war es ja immerhin wert. Zudem hilft er mir, dass ich nichts Grundsätzliches vergesse: so etwas wie Essen, an den Strand gehen oder auch duschen 🤣

Nun fange ich also an, mich zu entspannen, die Uhr ticken zu lassen, ohne ihr zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ich gehe mit einer Freundin meiner Mutter an den Strand, lese ein Buch, auch eine Zeitschrift (habe ich nicht mehr, seit Ute mir welche nach Thailand gebracht hat, habe aber auch nicht allzu viel verpasst, wie es mir scheint 😄), schaue einen Film in der Mediathek (ja genau, Inga Lindström in Stockholms Schärengarten 😄), gieße jeden Morgen den Garten, was fast schon meditativ ist und koche mir immerhin Essen und das sehr liebevoll und recht gesund, telefoniere. Mache sogar tatsächlich ein wenig Sport und ganz wichtig, telefoniere nun alle zwei bis drei Tage mit meiner liebsten Lieblingsnichte Nika, die es nicht mehr abwarten kann mich zu sehen. Mir geht es ganz genau so. Darauf freue ich mich am allerallerallermeisten! ❤
Und siehe da, alles andere läuft auf einmal auch. Schon spannend, der Umgang mit sich selbst…
Spannend ist auch eine weitere Veränderung, über die ich lange nachdenke. So sehr ich es hier, an diesem Ort, in diesem Land, nach wie vor schätze und schön finde, als zweite Heimat anerkenne, muss ich doch auch wahrnehmen, dass es nicht „mein“ (künftiger) Platz ist. Vermutlich hat das Loslassen meines Vaters, das Erwachsenwerden und meinen Weg gehen auch hierzu geführt. Auch wenn ich noch nicht die Antworten bezüglich meines Platzes habe, so scheint es wichtig, zunächst zu sortieren, vielleicht auch „auszusortieren“. Ein nervöses Gefühl stellt sich insgesamt ein. So fliege ich in zwei Wochen zurück und kann nicht mal sagen „nach Hause“, da ich ja, und ich muss es wieder erwähnen, kein eigenes mehr habe. Ich widme mich meinen Finanzen, die mir verraten, dass ich mich auch nicht gleich nach einem neuen Zuhause umsehen kann, sondern mich erst einmal weiter bei meiner Mutter einquartieren muss, an dieser Stelle besser „darf“, denn die Dankbarkeit hierfür ist eine immens große!

Die Tage fliegen so dahin. Ich komme inzwischen auch deutlich besser voran, schreibe viel, sondiere Fotos, vereinbare diverse Arzt- und andere Termine, auch Treffen, besuche liebe Bekannte und erlebe ansonsten sonnige Strandtage, auch mal ein Unwetter und einen herbstlichen Regentag, den ich regelrecht genieße, ein Fest mit einem unglaublich schönen Feuerwerk, einen lustigen Abend mit meinen slowenischen Nachbarn und deren Freunden, mit denen ich mich mit Händen und Füßen verständige, weil nicht alle Slowenen kroatisch sprechen und ich nicht alles auf slowenisch verstehe, und alles, was man sonst in einem (Heimat-)Urlaub so erlebt, zum Beispiel Roller fahren 😍 Und das hier fühlt sich nun wirklich nach einem „regulären“ Urlaub an.

Nun fahre ich morgen mit dem Bus zu meinem Onkel und meiner Verwandtschaft. Dort, wo fast Tag genau vor einem Jahr alles anfing. Mit dem Unterschied, dass ich nun nicht mehr um das Leben meines Onkels bange, denn es geht ihm wundersamer weise wieder weitestgehend gut. Manchmal zu gut, wie ich höre. Er kann schon wieder schimpfen wie ein Rohrspatz 😆 Und ich weiß, dass er sich besonders freut, mich wiederzusehen, hatte er doch manches Mal Tränen in den Augen, während wir auf meiner Reise sprachen beziehungsweise er über mich mit meiner Mutter. Und ich freue mich sehr auf meine Cousine Jasna (ja, sie hat den gleichen Namen wie meine ältere Schwester, weil mein Cousin das so wollte 😄), die früher Schwester und beste Freundin zugleich für mich war, auch wenn uns fast 1.000 Kilometer trennten. Ähnlich wie mit Karla, war es auch bei uns: unterschiedliche Lebensformen brachten leider eine gewisse Distanz mit sich, vor und während meiner Reise hat sich da jedoch in meiner Empfindung etwas verändert. Und als sie vor zwei Tagen, als ich sie zum Geburtstag anrief, sagte, dass sie mir die ganze Zeit auf meiner Reise „folgt“, war ich ganz gerührt. Vor allem deswegen, weil da richtig Mühe dahinter steckt, denn sie kann nicht wirklich deutsch 😊 Ja und unglaublich, aber wahr, ich treffe auch Kristina, meine jüngere Schwester wieder 😍 Zum zweiten Mal auf meiner großen Reise, so wie Ute und meine Verwandtschaft auch. Hach wie schön, so viele Schwestern zu haben, wenn auch nicht alle blutsverwandt ☺

Da das Wichtigste zum Schluss kommt, endet der Blog hier nicht. Denn ich werde die letzten Tage auf meiner Reise, ein Jahr, nachdem ich mich, im wahrsten Sinne des Wortes, auf den Weg gemacht habe, meine Berichte vom ersten Tag an (auch die davor) lesen, ich kann ja schon fast stolz sagen mein Buch 😍 Und dann gibt es den Bericht aller Berichte: meine „Schlussbetrachtung“. Und ich weiß jetzt schon, die wird essentiell… 🙌